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„Die Aids-Krise war so weit weg von uns.“ (Interview)

On Behalf Of Rosy über die neue Single „Paradox“

21.07.2022 – Nach einem Jahr Pause, ist das Berliner Electroclash-Duo On Behalf Of Rosy zurück und hat eine neue Single im Gepäck: „Paradox“ thematisiert den Widerspruch zwischen 80er-Nostalgie und der Aids-Krise. Im Interview erklären Songwriterin Katrin Schüler-Springorum und Sängerin SIlv Widmer, was sie zu diesem Song bewogen hat und wie es mit der Band weitergeht.

Wir bei PINK.LIFE haben ja eine Weile nichts mehr von On Behalf Of Rosy gehört. Wo habt ihr euch in der Zwischenzeit so herumgetrieben?

Katrin: Für mich hat der Pandemie-Stillstand abrupt ein Ende gefunden. Ich war seit dem Spätsommer 2021 in einer Theaterproduktion an der Berliner Volksbühne beschäftigt. Danach habe ich meine Solo-EP „stray“ aufgenommen. Es hatte einfach gedauert, bis wir wieder Zeit für On Behalf Of Rosy hatten. Aber es gab zum Glück auch ein paar Auftritte: Im März haben wir z. B. in Belinda's Salon performt und im April hatten wir ein Konzert beim Frauenfreitag im Sonntagsclub.

Nun ist also eure heißersehnte neue Single „Paradox“ draußen. Worum geht's?

Silv: Katrin und ich haben unabhängig voneinander die gleiche Doku über die Aids-Krise geschaut. Danach haben wir stundenlang darüber geredet. Mich hat die Doku sehr berührt, weil diese Zeit so an mir vorbeigegangen ist. Während ich zu Jane Fonda getanzt habe und in meinem Pfadfinderlager war, machten tausende von jungen Männern so eine Leidensgeschichte durch. Da dachte ich, es wäre doch toll, wenn wir einen Song darüber machen. Gleichzeitig war das auch ein Spagat, denn mir war wichtig nicht das Leid anderer auszubeuten. Schließlich war ich nicht betroffen, auch mein ganzer Freundeskreis nicht. Das ist die Entstehungsgeschichte von „Paradox“.

 

„Immer, wenn man sich darüber unterhält, wofür die 80er Jahre stehen, werden all die Klischees aufgezählt. (...) Parallel gibt es aber eine komplett andere Realität für eine ganze Generation junger Menschen, vor allem für junge, schwule Männer.“

– Katrin Schüler-Springorum über den Song „Paradox“.

 

Was genau ist das Paradox, das ihr beschreibt?

Katrin: Immer, wenn man sich darüber unterhält, wofür die 80er Jahre stehen, werden all die Klischees aufgezählt. Darum geht’s in den Strophen. Parallel gibt es aber eine komplett andere Realität für eine ganze Generation junger Menschen, vor allem für junge, schwule Männer. Diesen Widerspruch wollten wir mit dem Refrain deutlich machen. Natürlich habe ich damals Zeitung gelesen und war informiert, aber am Ende habe ich Gitarre geübt und Musik studiert. Eine Freundin von mir, die in den 80ern als Musicaldarstellerin gearbeitet hat, sagte mir: „Katrin, du kannst dir das gar nicht vorstellen, da ist in zwei Wochen ein ganzer Tanz-Cast gestorben.“ Das war mir nicht bewusst. Ich hätte aber mehr wissen, mehr mitkriegen können. Die Aids-Krise war so weit weg von uns, warum eigentlich? Der Song ist ein Versuch, sich diesem Widerspruch anzunähern.

Würdet ihr sagen, dass wir ein verklärtes Bild von den 80ern haben?

Silv: Na ja, ich habe beim Schreiben der Lyrics nach Textbausteinen gesucht und einfach mal gegooglet um zu sehen, was beim Stichwort „80er“ so alles kommt. Da war nicht ein Suchergebnis zu HIV dabei! Das finde ich schon extrem, weil HIV doch für so viele Menschen sehr prägend war.

Welche Einflüsse und musikalischen Elemente kommen bei der neuen Single zusammen?

Katrin: Zunächst muss ich gestehen, dass die 80er musikalisch an mir vorübergezogen sind.
Silv: Selbst „Purple Raaaaain“? (singt)
Katrin: Das hab ich alles später erst entdeckt, in der Zeit hab ich Jazz-Tonleitern geübt. (kichert) Aber ich habe versucht die 80er musikalisch anklingen zu lassen, zum Beispiel mit der Funk-Gitarre.

Und was hat es mit der B-Seite „Magic Chemical“ auf sich?

Silv: Da geht’s um die Sinnlichkeit im Alltäglichen. Ich habe Brot gebacken und mich gefragt: Was passiert, wenn man die Vorgänge beschreibt ohne zu benennen, worum es eigentlich geht? So ist schon fast ein pornographischer Text entstanden. Das finde ich ganz witzig. Es gibt nur zwei Wörter, die aufs Backen hindeuten: Ich singe „Loaf“ statt „Body“ und „Starch“ statt „Strength“. Katrin und ich haben gescherzt: Am Ende bringen wir noch ein Kochbuch raus, zuerst war es „Sweet Cabbage“, jetzt geht’s um Brot...

Kochen mit On Behalf Of Rosy“, würde ich kaufen. Mir fällt auf, dass ihr wieder sehr stark mit Kontrasten spielt, einerseits inhaltlich wie bei „Paradox“, aber auch musikalisch. Ist das eure Absicht?

Katrin: Es ist nicht meine erklärte Absicht, mit ganz vielen Kontrasten zu spielen, das ist einfach die Art von Musik, die mir gefällt und meine Arbeitsweise: Was passiert, wenn ich eine weiche Akustikgitarre mit einem abgefahrenen Beat kombiniere? Ich hab klassische Gitarre studiert und leite Chöre, analoger geht’s kaum. Gleichzeitig liebe ich elektronische Musik, mir macht es wahnsinnig viel Spaß Sounds zu designen und mit Synthesizern zu experimentieren. In meinen Stücken bringe ich beides zusammen.

Und was ist euer Arbeitsprozess, wenn ihr zusammen an Stücken arbeitet?

Silv: Katrin hat oft vorproduzierte Song-Entwürfe und dann entscheiden wir, was für Rosy eine Möglichkeit wäre. Ich bevorzuge die Songs, wo ich direkt eine Assoziation habe, das macht das Schreiben der Songtexte einfacher. Danach stückeln wir alles, also Song und Text, wieder zusammen.
Katrin: Das Feedback von Silv ist sehr wertvoll. Sie sagt mir dann, welche Teile ihr gut gefallen und welche nicht. Manchmal findet sie eine Idee, bei der ich mir unsicher war, ganz toll und dann kriege ich einen anderen Blickwinkel darauf. Oder etwas, in das ich mich vernarrt habe, findet sie nicht so gut und das hilft mir auch, weil ich selbst nicht die Distanz zu den eigenen Kompositionen habe.

Katrin, dich kennen wir ja auch solo als StrangerArea. Silv, was machst du, wenn du nicht für On Behalf Of Rosy singst?

Silv: Ich komme musikalisch eigentlich aus der Rock/Pop- und Funk/Soul-Ecke und hab früher viel in Cover-Bands gesungen. Mit dem Corona-Beginn bin ich nach Berlin gezogen und meine Idee war eigentlich, hier eine Cover-Band zu finden. Das muss ich noch in die Tat umsetzen. Die kreative Arbeit mit On Behalf Of Rosy will ich nicht missen, aber ich möchte auch noch eine Band haben, wo ich einfach meine Lieblingssongs singen kann.
Katrin: Fun-Fact, wir haben uns sogar in einer Cover-Band kennengelernt!

Wie geht’s weiter mit On Behalf Of Rosy? Stehen dieses Jahr noch Auftritte und Veröffentlichungen an?

Katrin: Am 20. August treten wir bei den queeren Kunst- und Kulturtagen in Lichtenberg auf. Außerdem haben wir im Dezember einen Gig in der AHA und werden auch auf der Christmas Avenue auftreten. „Paradox“ werde ich außerdem bei der Ausschreibung „Listen to Berlin“ einreichen. Mit ein bisschen Glück, landet der Song dort auf der Compilation.

EXKLUSIVE Single-Premiere – Die 80er Jahre der Anderen