Erstmal herzlichen Glückwunsch zum Erfolg von Post Daddies, das ihr diesen Herbst noch fünf Mal im Heimathafen Neukölln aufführt. Ihr habt das Stück ja gemeinsam entwickelt, aber wie habt ihr euch gefunden?Konstantin: Ich kannte Ariel schon als Schauspieler und ich schätze ihn sehr, vor allem als Komödiant und seine Figur der „Anali Goldberg“. Im Herbst 2022 trafen wir uns in einer Neuköllner Wohnung mit anderen, hauptsächlich älteren queeren Männern. Und da kamen wir ins Reden über das Älterwerden, über Sex, über das Leben. Anwesend war auch ein junger Mann, den gerade die Panik wegen der Affenpocken umtrieb, und der lauschte, wie wir Älteren uns über Cruising in den Achtzigern oder Pornokinos in den Neunzigern unterhielten. Und da ist mir diese Kluft bewusst geworden, und wie wenig die jüngeren und älteren Generationen eigentlich voneinander wissen. Und wie Ariel so auf urkomische Art aus seiner Jugend erzählte, dachte ich nur: Lass uns was zusammen machen. So kam es aus einer Laune und Spiellust heraus zu Post Daddies.Ariel: Ich habe dann noch meinen Kollegen Noam dazu geholt. Anfangs haben wir noch über Zoom geredet, um einander kennenzulernen, und während wir auf die Förderung warteten, haben wir einen Workshop zusammen gemacht. Es war sehr schön, wie das sich entwickelt hat.
Ihr seid ja in ganz verschiedenen Gegenden der Welt aufgewachsen. Haben sich eure Erfahrungen denn tatsächlich überlagert?Konstantin: Es gab insofern verschiedene Erfahrungen, weil wir unterschiedliche Lebenswege haben. Mein Vater ist Araber und lebt mit dem Großteil meiner Familie in Jemen, aber ich bin in der DDR groß geworden in einem eher akademischen Umfeld. Brav Ausbildung gemacht, dann studiert, eher bieder also. Anders als Ariel habe ich schwule Subkultur erst ab meinen Dreißigern entdeckt.Ariel: Ich war schon mit 14 out, das war Anfang der Neunziger, was auch eine goldene Ära in Tel Aviv war: Homosexualität war in Israel endlich entkriminalisiert, der DJ Offer Nissim übernahm das ALLENBY 58 und ich als Club-Kid war mittendrin. Parallel zu meinem Schauspielstudium war ich schon eine seiner „Lee Laa Loo“-Girls, einer Drag-Band, kurz bevor er Eurovision gewann mit Dana International. Die Zeit hat mich sehr geprägt, auch in meiner Arbeit heute.
Mitten in der Arbeit an Post Daddies flog auch euch der 7. Oktober um die Ohren. Was hat das mit euch gemacht?Ariel: In dieser furchtbaren Situation sucht man sich Menschen, die Brücken bauen. Die Trauer muss ja überwunden werden, also findet man neue Wege, damit umzugehen. Ob Konstantin von seinen Geschwistern in Jemen spricht oder ich von meiner Mutter in Israel – niemand auf der Welt will Kinder sterben sehen.Konstantin: Der 7. Oktober hat uns während der Probenzeit eine unerwartete Direktive gegeben. Plötzlich war es wichtiger als zuvor, dass hier zwei Israelis im Fokus stehen. Gerade Noam wurde durch Zuschreibungen – alt, weiß, jüdisch – mit der Realität von jungen Queers konfrontiert, über die er dann stolperte. Er war sein Leben lang ein schwuler Aktivist, und erlebte nun Vorwürfe gegen sich. Das hat den Blick auf den Generationenkonflikt noch einmal geschärft.
Apropos Generationenkonflikt: Wart ihr selbst als junge Männer denn interessiert an Älteren und deren Lebenswirklichkeiten?Ariel: Das Gefühl für Zusammenhalt war stark damals in Tel Aviv, auch zwischen den Generationen. Alles traf sich im Club, alle hatten Platz, und mit diesem Gefühl bin ich groß geworden. Das ist heute nicht mehr so, und auch wenn ich diese Veränderung verstehe, fällt es mir doch schwer, das zu akzeptieren.Konstantin: Bei mir gab es im Alltag kaum Begegnungspunkte, ich befasste mich mit der Vergangenheit eher über Literatur, die es damals zu lesen gab. Außer natürlich die Begegnungen sexueller Natur, da traf ich schon Ältere. Und jetzt bin ich selbst Daddy, schon spannend manchmal.Ariel: In Tel Aviv gab es einen alten Aktivisten, Theo Mainz. Er war vor den Nazis geflüchtet und hatte dann viel Sex mit Briten und Arabern. Dem habe ich gern zugehört. Meine Alter Ego „Anali Goldberg“ sagt immer: More Anal, Less Nationalism! Das mag naiv sein, dass Schwule den Frieden bringen, aber das ist die Utopie meiner Dragfigur.
Eine schöne Utopie. Wenn ich an die Schwulen der Siebziger oder Neunziger oder heute denke: Da wurde ja immer gern gefeiert, Rausch und Sex gehörten stets dazu. Was hat sich eurer Meinung nach geändert in der schwulen Szene?Ariel: Wie schon gesagt, war ich Club-Kid in Israel und wurde nach meinem Umzug dann Teil der Szene in Berlin. Vor drei Jahren kam dann die Ernüchterung, was Drogen und Alkohol angeht, allein im vergangenen Jahr habe ich sieben Menschen daran sterben sehen. Und ich habe eine Community innerhalb der Community gefunden, die sich stark für dieses Thema engagiert. Sowas wie eine Sober-Party haben die Strukturen in den Neunzigern gar nicht hergegeben, das ist also neu und das berühren wir auch mit unserem Theaterstück.Konstantin: Das ist ein wichtiger Punkt, dieser Solidaritätsgedanke. Ich habe als Kanake im Osten, und dann auch noch schwul und Künstler, viel Ausgrenzung erfahren. Und seit damals ist wirklich viel passiert, sei es Händchen haltend durch die Stadt zu laufen oder auch zu heiraten. Hier komme ich dann in einen Konfliktraum, da ich die Opferrolle der Jüngeren nicht in der Gänze verstehe. Diese Verfeinerung der Räume, die Verletzungen durch Triggern und so… Das ist ein Punkt, wo ich denke: Kämpft doch mal auch für was anderes, es geht nicht nur um Befindlichkeiten.
Und dieser Kontrast wird bei Post Daddies auch verhandelt, richtig?Ariel: Ich sehe diese zwei Positionen zwischen den Boomern und den Zoomern von heute, und wir als Generation X sitzen eigentlich dazwischen. Einerseits verstehen wir die Sensibilisierung in der Sprache, andererseits erkenne ich aber auch den Verlust von Empathie. Da ist Virtual Signaling in den sozialen Medien wichtiger als tatsächliches Mitgefühl. Ich erlebe derzeit ja selbst, wie schnell Ausschluss passiert.Konstantin: Das Stück dreht sich darum: Wie lebt es sich als schwuler Single über 50? Einerseits kann man sich als „Daddy“ ja gar nicht mehr retten auf den Sex-Apps, auch die Sehnsucht nach einer Form von Partnerschaft gibt es. Andererseits ist 50 das Alter der Abrechnung: Wo stehst du, welchen Status hast du, wartet Neues auf dich? Da reden wir natürlich über Einsamkeit und auch AIDS, wir alle haben ja Verlust erlebt. Und ich finde es berührend, dass Noam und Ariel nach drei Jahrzehnten Freundschaft auch Privilegien und unterschiedliche Lebenskonzepte in Frage stellen. Das ist auch ein schmerzhafter Kampf miteinander, aus dem Noam nicht heil heraus kommt aus dieser Sauna-Situation auf der Bühne.
Die Schwulensauna ist ein Relikt, das einfach nicht verschwindet. Anders als auf Social Media treffen an diesem Ort die Zwanzigjährigen auf die Achtzigjährigen, das passiert ja sonst nie. Schwule Männer, ungefiltert und nicht hinter einem Bildschirm versteckt, sondern nackt und echt. Wie seid ihr auf diese Kulisse gekommen?Ariel: Ich hatte gerade Noam besucht in Essen, wo er als emeritierter Professor die Folkwang-Universität verlassen hatte, da beschlossen wir: Alles findet in der Sauna statt! Und zwar aus den Gründen, die du eben beschrieben hast. Es war auch das Interesse daran, Verletzlichkeit zu zeigen und der schwächste Körper im Raum zu sein – dafür ist die Sauna ein spannender Ort, wenn man Normen wie Muskelkult und Schwanzgröße nicht erfüllt. Aber es war auch die Sehnsucht nach Realität, nach Empathie. Auf der Bühne siehst du ja kein Profilbild vor dir, sondern einen echten Menschen. Ich glaube, Heiner Müller hat mal gesagt, dass das Theater die einzige Kunst ist, wo man einen Herzinfarkt live erleben kann.
Das bleibt dem Publikum hoffentlich erspart. Wir freuen uns auf die Herbstsaison von Post Daddies mit euch.
Post DaddiesTheaterstück auf Deutsch und Englisch60 min, keine Pause | nicht barrierefrei, freie Platzwahl19 Uhr jeweils am 23. 24. 25. Oktober sowie 20. 21. November 2024Heimathafen Neukölln | Karl-Marx-Straße 141 | 12043 NeuköllnTickets unter 030 220136980 oder HIER
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