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Filmkritik Berlinale 2023 – „Femme“

Auf der diesjährigen Berlinale feierte der Neo Noir-Thriller „Femme“ seine Weltpremiere. In der britischen Produktion schmiedet ein schwules Gewaltopfer einen Racheplan, der die Sympathie des Publikums auf die falsche Person lenkt und queere Traumata rekreiert.

„I can play anybody, I can be your fantasy...“ Begleitet von Streichinstrumenten und der weichen Stimme der Sängerin Shygirl, lipsynct Aphrodite im Scheinwerferlicht der Bühne. Die Drag Queen zieht unter tosendem Applaus alle Blicke auf sich, und reißt  – zu plötzlich einsetzenden Beats – ihr imposantes Gewand vom Leib und entblößt ein metallenes Kettenoberteil. Eine ähnlich abrupte Wendung von weich zu hart nimmt der Film, als Aphrodite alias Jules (Nathan Stewart-Jarrett) in voller Drag-Montur von angetrunkenen Prolls erniedrigt, verprügelt und blutüberströmt auf der Straße zurückgelassen wird. Dieser erste Moment der körperlichen Gewalt gegen eine queere Person ist schwer zu ertragen. Zu häufig liest man in den Nachrichten von einem weiteren Anschlag auf ein Mitglied der LSBTIQA* Communitys. Dass die homophoben Aggressoren weiß sind und das Opfer ein Schwarzer Mann, wird für den Rest des Films nicht kommentiert.

Monate später trifft der noch immer traumatisierte Jules in einer Schwulensauna einen seiner Peiniger, Preston (George MacKay), der ihn nicht erkennt. Aus unerklärlichem Grund sucht Jules den Kontakt zu Preston und hat Sex mit ihm, den er nicht zu genießen scheint. Es folgen weitere Szenen, in denen sich Jules mit Preston trifft. Dieser lässt kaum eine Situation aus Jules für sein flamboyantes Erscheinungsbild zu kritisieren, ihn beim Sex zu erniedrigen und seinen unberechenbaren Gewaltausbrüchen auszusetzen. Preston lässt seine internalisierte Homophobie an seinem offen schwulen Gegenüber aus: Gewalt aufgrund von queerem Selbsthass, ein Narrativ, das die Verteidiger von Maltes Mörder ebenfalls auf gefährliche Art bedienen. Auch in „Femme“ scheint die Message klar: Preston trägt keine Schuld für sein gewalttätiges Verhalten, sondern sein Umfeld.

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Jules‘ Motivation für wiederholten Kontakt mit einer Person, der ihn offensichtlich nicht zu respektieren scheint, wird hingegen nicht erforscht, bis er im Internet auf ein ihm bis dato unbekanntes Porno-Genre stößt. In diesem werden ungeoutete Männer heimlich beim homosexuellen Sex gefilmt und anschließend online entblößt. Jules schmiedet einen Racheplan. Warum er sich bis zu diesem Punkt freiwillig den Schikanen von Preston ausgesetzt hat, wird nicht erklärt, was Jules für Zuschauer*innen als Charakter auf Distanz hält. Dass er zudem das Zwangsouting seines einstigen Peinigers plant und durchführt, bietet eine Basis dafür, Mitgefühl für den gewalttätigen Preston zu entwickeln. Durch die aufblühende Beziehung wird Preston im Zuge des Filmes nämlich weicher und zugänglicher und scheint sich zunehmend mit seiner sexuellen Orientierung auseinanderzusetzen. 

Die Figur Jules bleibt leider eindimensional. Durch das Mitgefühl und Verständnis, das während des Filmes für Preston generiert wird, avanciert Jules zum Antagonisten, was einen sehr unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt.

„Femme“ ist das Spielfilmdebüt von Duos Sam H. Freeman und Ng Choon Ping, die sich beide als queere Männer identifizieren. Sie gaben an, dass sie das heteronormative Neo Noir-Genre auf den Kopf stellen und mit queeren Protagonisten diverser gestalten wollten. Dabei haben sie jedoch, freiwillig oder unfreiwillig, ewig gestrige Klischees über schwule Männer rekreiert, denen jegliches Glück im Leben verwehrt bleibt und der Repräsentation der LSBTQIA* Communitys keinen Gefallen getan.