Kunst und Kultur für Neugierige
divers, barrierearm und aktuell
Bildinfo
© Bild: Jerry Cooke
schließen

Hundert Jahre Truman-Show

Die Welt kann Truman Capote nicht vergessen. Als er mit nicht mal Sechzig starb, lag sein letzter Roman bereits Jahrzehnte in den Bestseller-Regalen. Doch sein Ruhm wirkte nach, diverse Kinofilme, posthume Buchveröffentlichungen und zuletzt das TV-Drama „Capote vs the Swans“ rufen immer wieder seine Kunst und seinen Klatsch – wer kann das schon trennen? – zurück ins popkulturelle Gedächtnis. Zum Hundertsten ein Hofknicks von Bastian Peters

Niemand konnte ihm entfliehen, er posierte auf Zeitschriften, im Fernsehen und in den Tages-News. Truman Capote suhlte sich in Glanz und Gloria, bevor er sich dazu entschloss, Amerikas gefürchtetster Promi zu werden, und wenn sein Absturz heute genauso erinnert wird wie sein Schaffen, würde das der kleinen Giftnatter sogar gefallen. Er zementierte den eigenen Mythos mit spitzer Feder, als er noch im Kinderzimmer vom künftigen Ruhm träumte, und ließ davon nicht ab, als 1975 sein High-Society-Leben vor seinen Augen zerfiel: So wie Marcel Proust den Niedergang der Belle Époque literarisch porträtierte, wollte er die moralische Dekadenz der New Yorker Schickeria aufzeigen, die seine Heimat war und die ihn verstieß. Er hatte Erlebtes und Gehörtes wiedergegeben in seiner brillant-süffigen Handschrift, die ihn zum meistgelobten Romancier seiner Generation gemacht hatte, und nun zum Paria.

Dabei hatte die Klatschbase nie etwas anderes getan, als die Geheimnisse seiner Lieben zu verarbeiten – seine engsten Vertrauten waren immer seine Musen gewesen. Sei es seine Mutter, die als Teenager ihr einziges Kind in einem staubigen 700-Seelen-Dorf in den Südstaaten zurückließ, um Teil der oberen Zehntausend zu werden, nachempfunden in „Frühstück bei Tiffany“. Seien es die zänkischen Jungfern, die ihn aufzogen und denen er mit „Die Grasharfe“ ein Denkmal setzte. Oder die Mörder, die er befreundete und jahrelang besuchte in der Todeszelle, die seinen größten Erfolg „Kaltblütig“ inspirierten. Er war ein Schwätzer und erhob das zur Kunst – so wie ihn als Kind der Tratsch über den Gartenzaun hinweg begeisterte, so spitzte er später seine Ohren an den Tafeln im Weißen Haus.

Der anrüchige Twink irritierte die Literaturwelt Amerikas mit sexy Attitüde - der Beginn einer lebenslangen Verführung.
© Bild: Coffin Clifford

Die Klatschspalten hatten Capote schon mit 17 Jahren entdeckt als BFF der berühmtesten High-School-Kids der Welt, Millionenerbin Gloria Vanderbilt und Oona O’Neill, die mit dem 40 Jahre älteren Charlie Chaplin durchgebrannt war. Ihnen war Ruhm und Reichtum ein Tägliches, er selbst musste sich als ungeliebtes Kind von Emporkömmlingen den Weg nach oben schmeicheln. Auf Talent und Disziplin verließ er sich dabei nicht und nutze seinen Hang zum Spektakel. Schon sein Debüt „Andere Stimmen andere Räume“ löste nicht nur Kritikerapplaus aus, sondern auch den ersten, kühl provozierten Skandal: Auf dem Schutzumschlag streichelte das Wunderkind verträumt seinen Hosenschlitz, blickte verführerisch in die Kamera und schuf mit 23 den ersten queeren Bestseller. Es war 1948, und der Beginn der großen Truman-Show!

Capote umgab sich ausschließlich mit den elegantesten Frauen der Welt, hier mit seinem „Schwan” Gloria Guinness.
© Bild: Fairchild Archive

Was als Amüsement eines Hofnarren abgetan wurde – der tuntige Twink wurde von Weltliteraten und Tycoons gleichermaßen herumgereicht – entsprang der bitteren Erfahrung, aufgrund seiner Queerness abgelehnt worden zu sein. Seine Mutter verachtete die feminine Art des 1-Meter-60-kleinen Kobolds mit Fistelstimme und Schwuchtel-Attitüde, er war ein effeminierter Fremdkörper, für den die Ära der Weltwirtschaftskrise keine Verwendung hatte. Das machte ihn selbst zur tragischen Romanfigur, und so unterhaltsam seine Prosa auch war, trug sie stets die Farben der Schwermut und der verlorenen Unschuld. Doch geheult wurde allein unter der Dusche, und er betonte unmissverständlich, was nicht zu verstecken war: Als der Zweite Weltkrieg die großen amerikanischen Dichter verschlungen hatte und die Literaturwelt auf die nächste große Stimme wartete, ließ sich das selbsterklärte Genie nicht lang bitten und verwandelte die Nachkriegsliteratur in einen Tuntenball. Als ungeniert schwul lebende Berühmtheit hatte er sich unangreifbar gemacht, er war die unbestrittene Grande Dame der Salons und der umschwärmteste Literat der Welt, er dominierte die Feuilletons und besoff sich an milliardenschweren Jet-Set-Freundinnen wie Marella Agnelli und Mona von Bismarck.

Er war festes Inventar im Studio 54, hier mit Jerry Hall, Andy Warhol, Debbie Harry und Paloma Picasso.
© Bild: Sonia Moskowitz

Mit 40 hatte Capote alles erreicht, er lehnte sich zurück und stürzte in Zeitlupe ab. Ihn verließen Disziplin und Ehrgeiz, der nüchterne Perfektionist mäanderte in Form und Inhalt als zielloser Dandy durch die stinkenden Gassen Manhattans, als das Alte New York längst untergegangen war und Platz machte für Graffiti, Drogen und eine Schwulenbewegung, die das zugedröhnte Schandmaul als Ikone feierte in den verkoksten Hallen des Studio 54. Ein solches Hybrid aus Weltliteratur, Hollywoodglanz und Personenkult ist heute unvorstellbar, es musste erst erdichtet werden werden, und das konnte niemand besser als Truman Capote selbst.

Capotes Gesamtwerk erschien 2006 in der Züricher Ausgabe bei bei Kein & Aber, herausgegeben von Anuschka Roshani.
© Bild: Irving Penn