Anuschka Roshani und Truman Capote, diese zwei Namen sind im deutschsprachigen Raum untrennbar seit Jahrzehnten. Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie sein Werk erstmals gesammelt herausgaben?
Es gab ja immer einzelne Bücher von ihm in deutscher Übersetzung, andere waren vergriffen. „Baum der Nacht“ fiel mir in meinen Zwanzigern als antiquarische Ausgabe in die Hände – diese frühen Erzählungen sind bis heute mein Lieblingsbuch von ihm – aber damals noch in einer veralteten Übersetzung aus den Fünfzigerjahren. Auf meine Initiative hin erwarb Kein & Aber die Rechte für das Gesamtwerk beim Truman Capote Literary Trust, nachdem sich lange kein anderer deutscher Verlag dafür interessiert hatte und ließ es neu übersetzen. Kurz darauf wurde sein eigentlicher Erstling „Sommerdiebe“ gefunden, eine literarische Sensation, weil man von diesem Debüt gar nichts wusste. Es wurde ein SPIEGEL-Bestseller, was für die Werkausgabe natürlich die schönste Werbung war.
Für Capote-Liebhaber begann damals eine wundervolle Renaissance: Der Oscar-Gewinnerfilm „Capote“, das erstmals veröffentlichte „Sommerdiebe“, ein Jahr später das großartige Kinodrama „Kaltes Blut“, 2008 dann die Neuübersetzungen... Eben war die Serie „Capote vs The Swans“ für zehn Emmy Awards nominiert – mochten Sie die?
Ich hatte eine düstere Vorahnung, dass ich die Serie nicht mögen würde, und habe dann tatsächlich nach zwei Episoden aufgegeben. Meine siebzehnjährige Tochter verstand gar nicht, worum es da überhaupt ging. Die Story war verwirrend, aber auch langweilig erzählt, obwohl der Schauspieler Tom Hollander Capotes Gestik und Mimik gekonnt nachahmt. Ich fragte seinen Biografen Gerald Clarke, einen sehr distinguierten und zurückgenommenen Mann, nach seiner Meinung – und er schrieb mir in für ihn überraschend drastischen Worten, dass dies der letzte Dreck in seinen Augen sei, der weder mit dem realen Capote noch mit seinen ‚Schwänen‘ etwas zu tun habe. Außerdem seien die Macher über jegliche künstlerische Freiheit hinausgeschossen, nicht einmal die Details würden stimmen: Zum Beispiel sei die Concorde zu der Zeit, in der es spielt, noch gar nicht geflogen. Wie fanden Sie es denn?
Ich war enttäuscht, dass er in der Serie nur der traurige alte Säufer war. Die Menschen, die ihn nach seinem Fall um 1975 herum umgaben, beschrieben ihn ja trotzdem als liebenswert und unterhaltsam. Die eine gute Sache in der Serie war die Darstellung des Alten New York, das von der Bürgerbewegung weggeschwemmt wurde. Capote umgab sich mit Geldadel und später mit jungen Disco-Hüpfern, die ihn ebenfalls vergötterten. Er konnte in beiden Welten existieren, aber wenn ich seinen Namen höre, denke ich vor allem an seine reichen Freundinnen mit diesen lächerlichen Kleinmädchennamen, wie Babe Paley oder Happy Rockefeller. Welches Bild haben Sie vor Augen, wenn sein Name fällt?
Um ehrlich zu sein, sagten mir seine ‚Schwäne‘ bis dahin gar nichts, das waren ja alles die It-Girls bzw. Ladies aus den Vierzigerjahren, die ich erst durch die Beschäftigung mit Capote kennenlernte. Ich glaube, Capote hat gewusst, dass er immer Außenseiter bleiben wird und gar nicht erst den Versuch unternommen, in die High Society vorzustoßen. Er beging den Irrtum, dass seine Rolle als unaufhörlich beobachtender Schriftsteller nie mit seinen Freundschaften kollidieren würde, etwa der mit Babe Paley. Dass ihn sein Lieblingsschwan nach der Veröffentlichung von „La Côte Basque 1965“ verstieß, hatte er nicht abgesehen, und ihr Verlust blieb wohl eine der größten Wunden, mit denen er aus dem Leben schied. Capote war ja Mensch und Autor und Freund, das verschmolz in seinem Selbstverständnis. Wenn sich heute jemand in einem Roman als Figurenvorlage zu entdecken wähnt, würde ja sofort geklagt – das passierte damals nicht. Der Jet-Set wusste natürlich, wen Capote da porträtierte, aber den normalen Lesern blieb weiterhin verborgen, dass die Charaktere etwa an Gloria Vanderbilt oder Carol Matthau angelehnt waren. Ich sehe den sogenannten Verrat an seinen besten Freundinnen daher ambivalent, auch wenn Capote noch immer von der Literaturrezeption gern als eine Art Parvenü dargestellt wird. Ich denke, er sah sich vor allem als Unikat, außerhalb des Establishments, und er war ja wirklich einzigartiger als einzigartig.
Er war vor allem einzigartig, weil er nicht nur Bestseller schrieb, sondern selbst Celebrity war und sich mit Tycoons und Hollywoodstars umgab, was heute ja völlig unvorstellbar ist für einen Literaten. Sie haben auch in Ihrem neuen Buch „Truboy: Mein Sommer mit Truman Capote“ nicht nur dem Menschen, sondern immer auch dem Künstler nachgespürt. Es liest sich wie eine große Liebeserklärung an ihn, sowohl als ein ‚Capote für Anfänger‘ als auch ein ‚Capote zum Neuentdecken‘ für Liebhaber. Und das ist eine große Leistung, mit diesem Buch Menschen auf eine literarische Reise zu schicken.
Das freut mich, denn ich will Capote mit meinem Buch neuen Leserinnen und Lesern zugänglich machen. Zugleich war es natürlich spannend, mit den Menschen zu reden, die bis zuletzt um ihn waren, zum Beispiel mit seiner Quasi-Adoptivtochter Kate Harrington, die als Teenager bei ihm einzog. Sie hat Jahrzehnte lang nicht über ihn geredet, und ich habe lange gebraucht, bis ich sie fand. Sie beschrieb mir, wie Capote ihr Potenzial erkannte und begann, sie zu gestalten, als sei sie eine Heldin in einer seiner Erzählungen. Obwohl sie so jung war, hat sie das Modeln bald wieder gelassen, weil sie sich darin nicht wiedererkannte. Aber die ungeheure Fürsorge zwischen einem 16-jährigen Mädchen und einem damals schon gebrochenem Mann in seinen Fünfzigern – von beiden Seiten – fand ich verblüffend. Hinzu kommt der ungewöhnliche Umstand, dass Kates Vater ja Capotes Liebhaber war, und darüber die ganze Familie zerbrach. Sie sah ihn dennoch als ihren Retter, der ihr auch durch sein genuines Interesse an Menschen – und zwar nicht nur an prominenten, sondern an allen Menschen – eine besondere Haltung zur Welt beigebracht habe. Erstaunlich fand ich auch, dass sie mir erzählte, wie die Leute bis zuletzt mit Entsetzen auf seine Erscheinung reagierten, er sie dann aber alle schnell mit seinem Charme bezirzt hat.
Ich stelle mir vor, er steht mit den alten Tanten, die ihn in diesem kleinen Südstaatendorf großziehen, am Gartentor und hört das Geplauder der Leute mit an. Menschen fand er faszinierend und auch den Tratsch, den sie sich erzählten. Er liebte das und hat das zu einer Kunst gemacht.
Wir lieben ja alle Klatsch, aber wenn man den in Literatur verwandeln kann, ist es keiner mehr. Vor zehn Jahren habe ich Short Stories gefunden, die er für die Schülerzeitung seiner High School schrieb und die in dem Band „Wo die Welt anfängt“ erschienen. Vier der Erzählungen wurden im ZEITmagazin erstmals publiziert, darunter auch „Samstagnacht“, das er mit 12 oder 13 schrieb. Die Geschichte spielt in den Dreißigerjahren in den Südstaaten zur Zeit der Rassentrennung, und als kleiner Junge konnte er daher gar nicht wissen, was in Nachtclubs für Afroamerikaner geschah – er hatte mit Sicherheit das Hauspersonal belauscht. Wäre im Jargon der Schwarzen Gäste dieses Nachtclubs nicht so oft das N-Wort gefallen, hätte der Capote-Trust die Geschichte bestimmt später auch als Buchveröffentlichung erlaubt, denn es ist eine atmosphärisch meisterliche Short Story, nicht nur für einen Halbwüchsigen. Oder bin ich da ein zu sehr verklärter Fan?
Für mich wurde das Bild über Capote durch diese wiedergefundenen Geschichten komplettiert. Er war ja immer sehr einsam, die Mutter verließ ihn als Zweijährigen, er besuchte die Militärakademie… Er musste sich also ein Refugium schaffen, und das war seine Fantasie. Das ist ja ein Phänomen bei vielen queeren Teenagern, dass sie sich zurückziehen in eine Welt, in der sie bestehen können, in der sie sich neu erschaffen. Und bei ihm war das früh die Literatur.
„Wo die Welt anfängt“ war ein spektakulärer Fund, und ein solcher macht ja auch „Truboy“ zu einem literarischen Krimi: Sie stöbern in seinem Nachlass und fischen diese Textfragmente über Carson McCullers und James Baldwin und andere Größen der US-Literatur heraus, die offenbar zu „Erhörte Gebete“ gehören, seiner großen Unvollendeten. Das ist wahnsinnig aufregend beschrieben. An einer anderen Stelle im Buch erwähnen Sie, dass sein Haus in Brooklyn überwiegend von Touristen aus Europa besichtigt wird. Er verbrachte seine Zwanziger und Dreißiger fast ausschließlich in Europa – wäre das nicht eine schöne Fortsetzung von „Truboy“?
Ein Buch über seine Zeit in Palamós oder auf Capri? Eine gute Idee, aber ich war ja auf der Suche nach seinen letzten Freunden und Weggefährtinnen in den USA, und die sind inzwischen fast ausnahmslos hochbetagt. Aber ich möchte tatsächlich mal zu seinem früheren Chalet nahe Verbier fahren, er stieg ja immer wieder auch ab im Hotel Palace in St. Moritz, vielleicht gibt es dort noch Menschen, die sich an ihn erinnern. Ich bin übrigens stolz auf mein Buchcover, es zeigt ein bislang unveröffentliches Foto aus seinem privaten Album, das sein Lebensgefährte Jack Dunphy von ihm etwa um 1950 auf Sizilien machte.
Für alle, die „Truboy“ gelesen haben, aber noch kein Buch von Capote kennen: Welches würden Sie als Einstieg empfehlen?
Sein letztes Buch „Musik für Chamäleons“ von 1980, vier Jahre vor seinem Tod veröffentlicht, es versammelt kurze, enorm unterhaltsam Stücke von Capote, in denen er viel über sich preisgibt, sei es durch das Porträt über seine Putzfrau oder das über Marilyn Monroe. Wer nicht gleich Lust auf einen dicken Brocken wie „Kaltblütig“ hat, der kann auch mit „Frühstück bei Tiffany“ loslegen. Was würden Sie als Anfang raten?
Das Buch, bei dem ich mich in ihn verliebt habe, war „Die Grasharfe“. Das ist noch ein richtiges Südstaatenbuch, er schrieb ja später viel kühler und wurde spätestens mit „Die Musen sprechen“ zum Stilisten. Es gibt zwar Düsternis und Traurigkeit in „Die Grasharfe“, aber es ist trotzdem humorvoll. Humor gab es in seinem ersten Buch „Andere Stimmen, andere Räume“ eher weniger.
Stimmt, es hat etwas Surreales, was es weniger unmittelbar macht, während sein posthum entdecktes eigentliches Romandebüt „Sommerdiebe“ sofort einen Sog entwickelt, weil es in so filmischen Bildern erzählt ist. Schade, dass Scarlett Johansson sich von einer Verfilmung zurückgezogen hat, sie plante es als ihr Regiedebüt und sicherte sich die Rechte daran. Für mich schreit „Sommerdiebe“ geradezu nach einer Filmadaption. Aber wer wäre die beste Regisseurin dafür?
Wenn ich an Filme über arme reiche Teenager denke, fällt mir sofort Sofia Coppola ein. Die hat ja großartige Kinokunst über die gelangweilte Priscilla Presley und auch Marie Antoinette geschaffen. Coppola lebt in Paris, an sie müsste man doch rankommen. Ich werde Ihnen dann Bescheid geben, wie erfolgreich ich war.
Wenn das klappt, spendiere ich eine Kiste Champagner.
Und die leeren wir dann in Capotes alter Skihütte in der Schweiz, abgemacht!
PINKDOT EMPFIEHLT: Anuschka Roshani im Gespräch mit Elke Heidenreich über „Truboy: Mein Sommer mit Truman Capote“ - Montag, 23. September 20 Uhr im Literaturhaus Zürich
Wir verwenden Cookies, damit wir Dir die bestmöglichen Informationen und Services auf unserer Website bieten können. Mit der Nutzung der Website stimmst Du der Verwendung von Cookies zu. Datenschutz | Impressum
Diese Cookies sind unbedingt erforderlich, um Dir eine funktionsfähige, sichere und stabile Website zur Verfügung stellen zu können. Es werden keine personen-bezogenen Daten gespeichert.
Diese Cookies messen, auf welche Weise Kunden und Interessenten unsere Website nutzen. Daraus leiten wir dann anonyme Statistiken ab, die es uns ermöglichen, die Bedürfnisse der Website-Besucher besser zu verstehen und die Website entsprechend anzupassen und zu verbessern.
Diese Cookies ermöglichen das Anzeigen von unternehmensrelevanter Werbung auch auf Online-Plattformen unserer Partner. Personenbezogene Daten werde nicht direkt gespeichert, basieren aber auf der Identifizierung des Browsers und Internet-Gerätes unserer Website-Besucher.
Diese Cookies ermöglichen die Erfassung von Informationen zur Nutzung sozialer Media Dienste, die wir auf unserer Website verwenden. Sie sind in der Lage Ihre Browseraktivität über Websites zu verfolgen.