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Wie können Safer Spaces für mehrfach marginalisierte Personen entstehen?

Im Juni feiern wir in Gedenken an die Stonewall-Unruhen aus dem Jahr 1969 den Pride Month. In diesem wird die Vielfalt der LSBTQIA* Community zelebriert, was allerdings oft primär weiße schwule Männer in den Vordergrund rückt. Auch wenn man sich in der Partylandschaft Berlins umschaut, sind die meisten Veranstaltungen an genau diese Mitglieder der queeren Community ausgerichtet. Sherin Striewe aka Sherryaeri ist vor kurzem aus Frankfurt am Main nach Berlin gezogen. In Frankfurt hat Sherin eine Party für queere BIPoC FLINTA* veranstaltet. Im gemeinsamen Gespräch unterhalten wir uns über die Wichtigkeit von Safer Spaces für mehrfach marginalisierte Personen und die Bedeutung von Awareness-Teams in der Aufrechterhaltung dieser Räume der Freude.

Wer bist du und was machst du?

Ich heiße Sherin Striewe, benutze aber auch den Künstler*innennamen Sherryaeri. Ich würde sagen zur Zeit bin ich vor allem DJ und Community-Organizer, aber ich komme auch aus der politischen Bildungsarbeit und gebe Antidiskriminierungs- und Empowerment-Workshops und habe auch einen akademischen Hintergrund mit Soziologie-Studium. Ich versuche über meine Musik, aber auch Spoken Word und Poetry, intersektionale Perspektiven und eine Mehrdimensionalität aufzuzeigen, aber auch Räume zu schaffen, für Leute, die diese mehrdimensionalen Perspektiven haben.

Du hast in Frankfurt die Crémant.Cava.Booty Bounce-Party veranstaltet. Woher kam die Motivation, eine Party für queere BIPoC FLINTA* zu organisieren und somit einen Safer Space zu kreieren?

Ich würde sagen, es war aus einer Notwendigkeit heraus. Im Vergleich zu Berlin ist die queere Szene in Frankfurt natürlich wesentlich kleiner. Da gibt es viel weniger queere Orte und Partys und wenn, dann sind sie halt meistens gar nicht unbedingt queer, sondern eher cis-männlich und weiß dominiert. Für FLINTA* gibt es generell wenig Orte und für Menschen mit dieser intersektionalen Erfahrung von Rassismus oder Antisemitismus und Queerness gibt es einfach legit keinen einzigen Raum. Dann war ich 2017 in Berlin auf dem CuTie.BIPoC-Festival und das war für mich total mindblowing, da es das erste Mal war, dass ich an einem Space war, wo nur andere QTBIPoCs waren. Für mich war das vorher gar keine Möglichkeit, weil ich noch nie sowas erlebt oder überhaupt von gehört habe. Es war so eine schöne Erfahrung. Natürlich gibt es auch da Diskussionen, die geführt werden müssen, aber eben nicht, was die Identität angeht. Man muss keine grundsätzlichen Sachen besprechen, weil es halt klar ist, dass wir alle Rassismus- oder Antisemitismuserfahrung machen und eben queer sind. Das war einfach so ein spannendes Erlebnis, dass ich dann in Frankfurt mit meinen Friends meinte: „Wir brauchen eigentlich auch so Spaces hier,“ und dann haben wir mit dem Queer Visible Collective eine QTBIPoC-Party in Frankfurt gemacht, die den Fokus auf QTBIPoCs gelegt hat, aber für alle geöffnet war. Während der Pandemie hatten wir nicht so Kapazitäten, damit weiterzumachen. Dann habe ich mich mit fellow FLINTA*-DJs in Frankfurt unterhalten und wir waren alle der Meinung, dass wir nicht nur aus der Gastperspektive Orte schaffen wollen, die sich explizit an queere FLINTA* und queere FLINTA* BIPoC richten, sondern auch aus der DJ-Perspektive. Auch als Künstler*in gibt es kaum eine Veranstaltung, auf der man nicht auf irgendeiner Sektion von sich irgendwie diskriminiert wird. Das ist einfach anstrengend. Und wir dachten uns, aus dieser doppelten Betroffenenperspektive eine Party zu veranstalten wäre einfach extrem cool, weil wir für die Gäste einen Safer Space schaffen können, aber auch für die Artists.

Teil der Anfangsidee war, im Frankfurter Stadtbild Awareness-Konzepte einzubringen: „Wir sind auch da und brauchen unsere Spaces“. Party ist politisch. Auf unserer Party hängen am DJ-Pult zwei Schilder. Eines sagt: „If we wanted your selection we would’ve booked you,” so in die Richtung „Lass die DJs in Ruhe, hier gibt’s keine Musikwünsche.” Das andere sagt, dass die ersten Reihen vor dem DJ-Pult oder bei Konzerten für BIPoC-FLINTA* reserviert sind. Das war im ersten Moment, als wir damit angefangen haben, komisch für Leute, die sich noch nicht mit sowas auseinandergesetzt haben. Viele denken ja „Na ich behandle ja alle gleich,“ aber den Schritt zu machen, tatsächlich den physischen Raum, nicht nur den theoretischen, an andere abzugeben, die weniger Privilegien haben, oder in der Gesellschaft selten in der ersten Reihe stehen, dieser Schritt wird oft nicht gemacht. Über diese Party haben wir Lernprozesse anstoßen können, aber halt in a fun way. Bei den ersten zwei Partys war es noch weird, dass wir so Regeln hatten, dann war es aber total normal und es wurde voll akzeptiert. Wir haben den Safer Space, aber es sind alle willkommen, solange sie respektvoll miteinander und sensibel mit ihren Privilegien umgehen. Dann gab es wirklich von Party zu Party weniger Fälle, wo man jemandem Bescheid geben und auf das Awareness-Konzept hinweisen musste, weil es schon ganz normal war, dass der weiße cishet-Dude halt lieber ganz hinten auf der Tanzfläche steht und nicht vorne den Space occupied.

Wie habt ihr euer Awareness-Konzept kreiert? Schult ihr euer Personal?

Ich habe ein Awareness-Konzept erstellt und zeitgleich, weil ich ja aus der Bildungsarbeit komme, auch ein Workshop-Konzept erstellt. Ich habe mir basically die Ausbildung des Awareness-Teams überlegt und dann im Freund*innen- und Bekanntenkreis herumgefragt, wer sich das vorstellen könnte. Es waren auf jeden Fall Leute, die ich schon kannte, auch aus anderen Awareness-Teams, wo ich selbst schon mitgearbeitet habe und wusste, die haben eine Vorsensibilisierung. Das war der Anfang. Später haben für über Instagram einen Aufruf gestartet, dass wir noch neue Leute suchen und darauf haben sich viele gemeldet, was auch cool war, weil es dadurch auch raus aus meinem Freund*innenkreis und meiner Bubble ging. Das Schöne ist, so haben wir jetzt auch Leute in unserem Awareness-Team, die Anfang 20 sind, die ich anderweitig vermutlich nicht erreicht hätte.

Wir haben die Regel aufgestellt, dass wir vor jeder Party den Awareness-Workshop machen. Der ist in zwei Teile aufgeteilt. Im ersten geht es darum, was genau Awareness ist und worauf man zu achten hat. In dem anderen Teil geht es explizit um den Austausch innerhalb des Awareness-Teams an dem Abend. Der zweite ist obligatorisch vor jeder Party. Den ersten muss man nicht unbedingt machen, wenn man ihn schon einmal absolviert hat. Ich sage immer so: „Eine Awareness-Schicht ist keine Bar-Schicht.“ Egal, wo du schon mal Awareness gemacht hast, jede Situation ist immer anders und es ist immer wichtig, sich vorher nochmal abzusprechen, um auch aware innerhalb des Teams zu sein. Es ist jedes Mal individuell. Man kann sich auch abstimmen, was die Grenzen untereinander sind, worauf muss man da achten, damit sich alle wohlfühlen. Aber auch das Publikum ist je nach Party anders. Auch darauf stellt man sich im Voraus ein.

Was ist dir im Umgang mit Gästen aus Sicht des Awareness-Team besonders wichtig?

Also weil wir einen Fokus auf queere BIPoC FLINTA* haben, sind auch in unserem Awareness-Team nur queere BIPoC FLINTA*. Abgesehen davon würde ich sagen, dass wir eine Awareness dafür haben, dass das Awareness-Team nicht die Türsteher ersetzen. Es ist schon wichtig, dass es kein Policing ist. Ich würde sagen, dass man eher mit den Leuten umgeht, als wüssten sie schon, wie die Awareness-Struktur ist und sie gegebenenfalls nochmal drauf hinweisen. Dass man von was Ermahnendem oder Strafenden wegkommt, sondern eher entspannt darauf hinweist, dass man Anderen ihr Gender nicht ansieht, oder Leute nicht fremdgendert. Also das Polizei mäßige rausnehmen finde ich total wichtig. Aber ich finde es auch grundlegend wichtig, dass es nie zu Ende gedacht ist und immer ein Work in Progress ist. Auch bei uns gibt es safe noch Sachen, zum Beispiel was Inklusionsthemen betrifft, die wir gerne mitdenken würden. Man muss auf dem Schirm haben, was man an Awareness geben kann. Wir haben zum Beispiel eine Awareness-Tasche, falls die in der Location keine Ohrstöpsel haben, dann haben wir welche dabei. Es ist eine Balance zwischen Prävention – ich habe einen Rückzugsort oder Traubenzucker für Diabetiker*innen dabei – und wenn was passiert für die Leute da zu sein und auch bei „Täter*innen“ nicht den strafenden Finger zu zeigen, sondern auch sie abholen und gleichzeitig für betroffene Personen da sein und gucken, was sie brauchen. 

Wann hast du für dich gemerkt, dass das Kreieren eines Safer Spaces auf Partys wichtig ist?

Ich glaube der Augen öffen-Moment kam dadurch, dass ich gemerkt habe, dass ich was fordern kann, als ich das hier bei dem CuTie.BIPoC-Festival in Berlin erlebt habe. Seitdem war es so ein Prozess von „ich habe keine Lust mehr auf unsafe Party zu gehen“. Von Mal zu Mal auf „unsafen“ – also ohne Awareness-Team – Partys hat’s dann auch einfach keinen Spaß mehr gemacht. Manchmal hat man sich dann auch gefragt, warum es bei queeren Partyreihen, die es seit Jahrzehnten gibt, immer noch kein Awareness-Konzept gibt. Und da kam ich dann echt zu einem Punkt des Unverständnis. Aus dieser Betroffenenperspektive nicht da feiern zu wollen, wo niemand dafür sensibel ist, wie es ist, aus meiner Position zu feiern.

Für mich ist es ganz unabhängig von der Party. Ich finde ein Awareness-Team sollte genauso dazu gehören, wie das Türpersonal. Ich muss auch sagen, natürlich ist es cool, dass mehr Partys Awareness-Teams haben, auch auf kommerzielleren Partys. Aber ich finde es auch total wichtig, dass man sich der Verantwortung widmet. Wenn man auf einer Party mit 500 Menschen ein Awareness-Team von zwei Leuten hat, bringt das halt auch nicht viel. Es soll nicht so ein Ding werden: „Na wir haben’s ja,“ sich aber keine Gedanken darüber macht, was es eigentlich bedeutet. Wenn ich als Gast auf eine Party mit Awareness-Strukturen gehe, dann stelle ich mich darauf ein, ziehe mich vielleicht anders an, auch auf einer schwulen Party. Wie oft du als FLINTA* angegrabscht wirst, weil sie sind ja schwul und deswegen ist’s ja nicht so schlimm.. Ich mag’s halt trotzdem nicht, angefasst zu werden. Wenn ich dann weiß, es gibt Awareness-Strukturen, dann stelle ich mich darauf ein und finde es wichtig, dass man sich darauf verlassen kann, dass es auch funktioniert. 

Wie sollte sich das Awareness-Team optisch vom Rest abheben?

Das ist eine richtig schwierige Frage. Tatsächlich haben wir uns das bei unseren regelmäßigen Awareness-Treffen total oft gefragt. Uns ist es wie gesagt voll wichtig, dass es nichts polizeimäßiges hat. Wir hatten auch überlegt, Westen zu tragen, aber die Polizei hat ja auch diese gelben Westen, weswegen wir uns dagegen entschieden haben, obwohl das natürlich viel sichtbarer ist, als zB eine Armbinde. Ich finde schon, dass es sinnvoll ist, das Awareness-Team vom Security-Team optisch zu trennen. Bis zu einem gewissen Grad ergibt es voll Sinn, dass das Türpersonal groß und kantig ist (lacht), aber natürlich triggern die auch negative Erfahrungen, insbesondere wenn man es intersektional betrachtet mit so Grenzpolizeierfahrung oder generell mit unangenehmen Erfahrungen in die Richtung. Ich glaube, dass Awareness schon auch Comfort reinbringen soll, was natürlich nicht bedeutet, dass eine große und kantige Person kein Awareness machen kann, aber halt vielleicht eher nicht in der Kleidung vom Security-Team (lacht). Ich habe keine perfekte Antwort darauf, aber coole Merkmale, die ich so gesehen habe sind leuchtende Sachen. In so dunklen, nächtlichen Veranstaltungen ist das voll cool, wenn es so neonfarbene und leuchtende Sachen sind, dass man sieht, dass da jemand ist. Es soll halt eben nichts patrouillierendes haben

Wieso sind Safer Spaces für mehrfach marginalisierte Menschen wichtig?

Das ist ganz einfach. Es gibt sauselten Räume der Freude für mehrfach marginalisierte Leute. Wenn man mehrfach marginalisiert ist, dann bedeutet das ja quasi, dass man an jeder Ecke und eben auch auf jeder Party gewappnet sein muss, scheiße zu erleben. Basically muss man die ganze Zeit mit seinem Guard up sein und bereit sein, sich zu schützen. Deswegen ist es halt total wichtig, dass es Orte gibt, an denen man einfach loslassen kann, locker sein kann und einfach nur happy sein kann. Und diese sind voll selten. Für Leute, die diese Erfahrungen der Mehrfachmarginalisierung nicht haben, hört es sich vielleicht total banal an, aber es ist halt echt total special. Andere Leute können das halt immer. Für die ist jede Party ein Sommer Open Air vom Gefühl her, aber für manche ist es eben nicht so selbstverständlich und deswegen braucht es Safer Spaces, um Leuten, die sonst nicht die Räume der Freude erleben, diese erleben dürfen.

 

Sherin ist offen dafür das eigens erarbeitete Awareness-Konzept Partyveranstalter*innen in Schulungen zu Verfügung zu stellen. HIER erfahrt ihr mehr über Sherins Arbeit.