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Ein schwuler König auf dem norwegischen Musikthron

Nils Wanderer schießt derzeit nach oben wie Raketen zum Jahreswechsel in den Mitternachtshimmel. Einen Preis nach dem anderen kann er sein eigen nennen, zuletzt zwei Trophäen beim Bundeswettbewerb Gesang. Und ebenso wie diese Feuerwerkskörper bringt er Leuchten in die Augen des Publikums und Glamour in die Sitzreihen der tradierten Klassikwelt. Unsere Redakteurin Jacky-Oh Weinhaus hat den Überflieger zu Kaffee und Interview getroffen.

Nils Wanderer, um diesen Namen kommt man in der Opernszene zur Zeit kaum herum. Zuletzt bist du als einer von sechs Klaus Nomis in „Don’t You Nomi?“ über die Bühne der Staatsoper Berlin gefegt. Aber wie bist du eigentlich zum Gesang gekommen?

Es begann damals ganz klassisch durch den Knabenchor Capella Vocalis in Reutlingen, in meiner Heimat Baden-Württemberg. Mit fünf Jahren bin ich dort gelandet, hatte meine ersten Auftritte und durfte recht schnell als Solosänger im Rahmen des Chors ran. So bin ich in diese Welt hineingerutscht. Irgendwann folgten dann Tanz und Schauspiel, und ruckzuck habe ich Gesang in London studiert. Mittlerweile reise ich in der Welt herum und bin irrsinnig glücklich darüber, dass ich mit Gesang meine Miete bezahlen kann. Das ist eigentlich das Schönste, das es für mich gibt.

Damals... Das klingt so, als wärst du schon steinalt.

Okay, also wie alt bin ich? Kommt immer ein bisschen drauf an, wer fragt. Ich sag mal so: Geboren wurde ich auf jeden Fall im 20. Jahrhundert und bin wahrscheinlich irgendwas um die 30.

Ich habe dich in der Musical-Adaption von „Romeo und Julia“ im Theater des Westens als Todesengel kennenlernen dürfen. Kaum hatten sich deine Lippen geöffnet, überrieselte mich direkt ein Schauer. Was für eine Stimme! Und das auch noch in einem Musical.

Ich muss schon sagen, dass das Theater des Westens eine ganz besondere Erfahrung war. Auch außerhalb meiner Komfortzone, da ich ja als gewohnt bin, an Opernhäusern und oder Festivals zu arbeiten. Das war das erste Musical für mich: Die Rolle des Todesengel wurde extra für mich geschrieben, worüber ich sehr dankbar bin. Außerdem habe ich so viele faszinierende, inspirierende Menschen kennenlernen dürfen, wie dich zum Beispiel, die einfach meine künstlerische Sichtweise verändert haben. Mit „Romeo und Julia“ bin ich jetzt zwar fertig, aber meine Arbeit bei diesem Stück hat mir die Möglichkeit gegeben, vor allem auch in der Community andocken und Hallo sagen zu können. Für jemand Neues in der Stadt ist sowas nicht immer einfach.

Parallel zum Theater des Westens hast du auch noch Monteverdi in der Staatsoper Hannover gesungen. Du bist also zwischen zwei Welten hin und her gesprungen?

Ja, und ich bin für beides so unendlich dankbar. Vor allem das Berliner Musical-Publikum ist so großzügig und emotional – so etwas hatte ich zuvor noch nie erlebt. Und kurz darauf lädt mich die norwegische Königin nach Oslo, ein weiteres Highlight, das mir die Möglichkeit gegeben hat, meine Karriere auf ein ganz anderes Level zu heben. Zukünftig wird es mich auch immer mehr nach Amerika treiben. Aber dem Theater des Westens werde ich für immer dankbar sein, dass ich dort arbeiten durfte.

Um nochmal auf die Königin zu sprechen zu kommen: Wie hast du es denn in ihren Gesangswettbewerb geschafft?

Letztes Jahr habe ich an Plácido Domingos Operalia teilgenommen, einem der größten Klassik-Wettbewerbe, und habe sowohl als erster Deutscher als auch erster Countertenor den 2. Platz belegt. Dadurch ist Sonja von Norwegen auf mich aufmerksam geworden und hat mich eingeladen. Von 600 Bewerbungen schafften es nur zwölf in die zweite Runde, und im Finale waren wir nur zu sechst. Ich muss gestehen, das war das höchste Niveau an Gesang, das ich jemals erleben durfte. Das waren alles Künstler*innen, die an der New Yorker Metropolitan Opera, der Mailänder Scala oder dem Royal Opera House in London performen. Mein erster Gedanke war tatsächlich: Als Countertenor singst du die erste Runde, freust dich, dass du eingeladen und in einem guten Hotel untergebracht wurdest und dass du ein paar Freunde dabei hast. Aber dann kam alles ganz anders, ich erhielt den Publikumspreis, den Preis der Königin für herausragende Darbietung und 3. Platz in der Wertung der Jury.

Herzlichen Glückwunsch, sag ich da! Hattest du eine besondere Strategie? Konntest du deine Kunst so umsetzen, wie du sie spürst oder musstest du dich bei der Performance verbiegen?

Ich habe für mich entschieden, einfach ich zu sein. Ich singe, was ich liebe. Ich werde nicht irgendwie die großen Feuerwerke auspacken, sondern authentisch, emotional sein. Ein wenig in Anlehnung an „Romeo und Julias“ Todesengel vielleicht auch wirklich versuchen, mit dem Publikum zu kommunizieren, ohne viel Spagat zu machen und noch dreimal irgendwie gesangliche Pirouette zu drehen. Und das kam scheinbar gut an.

Und die ist die Sonja so?

Bitch, das war schon echt ein verrücktes Gefühl. Es gibt Momente in deinem Leben, die sind sehr surreal und das war auf jeden Fall einer davon. Eine komische Mischung aus Nervosität und völliger Unaufgeregtheit. Da sitzt du da, rausgeputzt undNerven gespannt, mit der Osloer Bürgermeisterin und der norwegischen Königin am Kaffeetisch und quatschst und merkst dabei, dass das ganz normale Leute sind. Die Königin ist eine liebe Frau, ganz klein mit einer unglaublicheen Ausstrahlung. Sie ist sehr kunstaffin und darauf erpicht, dass Norwegen mehr und vor allem gute Kultur macht. Wenn du solch eine prominente Person hast, ist es eine ganz große Kraft, die dann auch dem Land hilft, wirklich Exzellenz auszustrahlen. Und das macht Norwegen natürlich aus. Sie haben ein tolles Opernhaus, tolle Sänger*innen.

Wie geht's nun weiter? Wo können dich deine Fans genießen?

Nächstes Jahr darf ich wieder in Oslo ran, was mich sehr stolz macht. Und wie schon erwähnt, darf ich noch mehr reisen. Ich bin Ende Oktober in der Komischen Oper Berlin als Klatschkolumnistin Mary Sunshine in „Chicago“ zu sehen, meine erste Travestierolle! Danach gehts nach Frankfurt, Irland, Kanada und in die Türkei. Aber danach komme ich auf jeden Fall wieder nach Berlin zurück.

Wundervoll. Berlin braucht Talente wie dich! Danke für dieses erfrischende Gespräch.