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Amy Strong
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Der Aufklärungsauftrag der Travestie?

Kleine Vorstellungsrunde: Wer ist Amy Strong?
Amy Strong ist mein „Plus1“ und mein hoch extrovertiertes Ich. Dabei versuche ich mit meinem Dasein als West-Berliner Drag Queen Menschen zu unterhalten und zum Lachen zu bringen. Ich fokussiere mich vor allem auf meine Situations-Comedy sowie auf DJ-Sets im Spektrum der Popkultur. Ich bin in der Stadt bekannt für meine verrückten Karaoke-Nächte, eskalierenden Bingo-Abende und als die Dürre, welche einst die Bibel prophezeite. Und wenn ich schon im hellen Licht der Scheinwerfer stehe, lege ich auch großen Wert darauf, immer wieder auf die Missstände dieser Welt aufmerksam zu machen. Besonders im Bereich rund um die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Was jedoch kaum eine Person weiß ist, dass ich mich seit vielen Jahren im Bildungsbereich engagiere und Aufklärungsarbeit an Schulen leiste. Etwas, was mir selbst einst sehr geholfen hätte.

Das „Thema Drag-Lesungen für Kinder“ geht seit einiger Zeit immer mal wieder durch die Medien wie eine Darmgrippe durch den Verdauungstrakt. Auch du hast bereits für Kinder gelesen. Wie war dieser Job für dich und gab es Gegenwehr?
Ich habe erstmals im letzten Jahr in einer Pankower Bibliothek Kindern und Jugendlichen aus queeren Büchern vorgelesen, welche mich in den letzten Jahren oder gar bereits seit meiner Jugend geprägt haben. Ich habe vor allem aus Büchern gelesen, in die ich heute gerne noch reinschaue. Vom Queeren Lexikon über Romane bis hin zu einer spannenden Biografie einer großartigen trans Frau. Das Schöne war jedoch der Austausch im Anschluss. Dabei kamen wir nicht nur über Bücher zu sprechen, sondern auch über die Lebensrealitäten der queeren Kindern und Jugendlichen. Berlin bietet glücklicherweise tolle Orte für die Jüngsten unserer queeren Blase. Natürlich rechnete ich vorab mit Gegenwehr, diese blieb allerdings glücklicherweise aus. Zu Situationen wie in München kam es erst gar nicht: dort hat man einst den Zugang einer Bibliothek zugemauerte, nur um zu verhindern, dass toll geschminkte Menschen Kindern mit einem Buch gegenüber sitzen. Meine Lesung wurde durchweg positiv wahrgenommen und ich herzlichst empfangen.

Dass Aufklärungsarbeit von klein auf besonders wichtig ist, um eine Gesellschaft offen und tolerant zu gestalten, ist nichts Neues. Wie sieht es aber mit der Effektivität von Erwachsenen-Aufklärung aus? Deine persönliche Einschätzung.
Das Leben ist auf allen Ebenen ein stetiger Prozess. Ich denke, man lernt nie aus. In meiner Aufklärungsarbeit mit Erwachsenen begegne ich in der Regel Menschen, die bereits eine Geschichte mit sich tragen und Meinungen zu gewissen Standpunkten haben. Die Ansätze und Inhalte von Diskussionen sind im Vergleich zur queeren Aufklärungsarbeit mit der jüngsten Generation eine ganz andere. So kommt es auch mal vor, dass man schwulen Männern mit konservativen Haltungen gegenübersitzt, die nichts mit dem Zeitgeist des Genderns anfangen können. Jedoch sind es gerade erwachsene Menschen, die den Einfluss auf unsere Welt, Politik und auch auf Kinder haben, die möglicherweise von unseren Themen betroffen sind. Ich denke, mit jedem Workshop schafft man es, Menschen ein Stück weiter zu sensibilisieren. Und sei es nur ein Aha-Effekt, trotz wenig Beteiligung. Wenn ich es schaffe, Menschen nicht zuletzt durch meine Biografie und Begegnungen das Wissen mitzugeben, dass es viel mehr gibt als das binäre Geschlechtersystem und die Heteronormativität, dann habe ich schon viel erreicht.

Wie genau gehst du vor, wenn es um das Thema queere Aufklärung geht?
Innerhalb der Aufklärungsarbeit ist es vorerst wichtig zu schauen, mit welcher Gruppe man arbeiten wird. Je nach Gruppengröße, Alter und z.B. auch Schule wird die Arbeit individuell angepasst. Jeder Workshop ist immer mit mindestens zwei Workshopleitungen besetzt. Ich bekomme von meinem Team und Chef vorab Informationen zum anstehenden Workshop und mögliche wichtige Hinweise. Hierbei greife ich auf unterschiedlichste Methoden im Rahmen der Sensibilisierungsarbeit zurück. Eines ist jedoch immer gleich: Wir arbeiten mit dem Fokus auf Menschenrechte, Respekt und Biografie. Das heißt, dass alles im Rahmen der Freiwilligkeit und des Respekts stattfindet. Ich versuche, mit meinen persönlichen Geschichte Menschen emotional zu erreichen und den Jugendlichen damit auf Augenhöhe begegnen. Zu Beginn versuche ich jedoch auch durch verschiedene Methoden auf die Erlebnisse, Erfahrungen und Biografie der jeweiligen Kinder und Jugendlichen einzugehen. Denn oft haben wir eines gemeinsam: Diskriminierungserfahrungen – wenngleich auch aufgrund anderer Faktoren. Wir beschäftigen uns generell mit dem Wort Gleichberechtigung und steigen dann tiefer in unser Thema ein. Oft bringt die Gruppe bereits Vorwissen mit, worauf wir dann weiter aufbauen können. Am Ende gibt es die Möglichkeit, uns anonyme Fragen rund um das Fachwissen und an uns persönlich zu stellen. Hierfür nehmen wir uns immer besonders viel Zeit. Oft wird es dann ganz ruhig im Raum, wenn wir nach unseren Outing(s) oder auch Gewalterfahrungen gefragt werden.

Wie stark ist der Gegenwind?
Der Gegenwind von außen ist für mich kaum zu spüren - da ist er dennoch immer irgerndwo. Dieser wird dann durch andere Personen des Verbands aufgearbeitet. Bei uns geht es ausschließlich um Aufklärung über Geschlechtsidentiäten und Liebesformen. Vorwürfe von Frühsexualisierung oder gar der Sexualkunde seitens religiös und/oder politisch konservativ geprägter Stimmen sind daher vollkommen unbegründet und fehl am Platz. Und jetzt mal ehrlich: Solche Vorwürfe zeugen nur von Unwissenheit, mangelnder Intelligenz, sowie nicht vorhandener Fähigkeit zur Reflexion. Während der Workshops kann es sowohl in der Erwachsenenbildung als auch bei den Jugendlichen zu ablehnendem Verhalten und Störungen kommen. Denn man begegnet eben auch Menschen, die u.a. stark durch Kultur und Religion geprägt wurden. Oftmals haben diese Menschen noch nie etwas von unserem Thema gehört und empfinden dies als unnatürlich. Oder ihnen wurde ihr Leben lang eingetrichtert, dass Queer-Sein etwas schwaches sei und sie mit dem Wort „schwul“ nur etwas negatives verbinden. So durfte ich mir daher auch bereits anhören, dass ich kein Recht auf das Leben hätte.

Wo genau kann man deine Arbeit erleben?
Ich arbeite überwiegend an Berliner, als auch an Brandenburger Schulen. Hin und wieder klopfen auch mal Unternehmen, Vereine und Institutionen an. Leider finden diese Workshops unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Was wünschst du dir für die Zukunft, vor allem politisch betrachtet?
Ich wünsche mir mehr Verständnis und Begegnungen auf Augenhöhe. Statt einer Verbreitung wüster Fake-News und Vorwürfe wäre es an der Zeit, in einen respektvollen Austausch zu gehen. Besonders von den privilegierten Menschen unter uns erwarte ich mir öfter einen Blick über den eigenen Tellerrand hinaus. Denn letztendlich sind es einzelne Idividuen, die sich durch die natürliche, bunte und erwiesene Geschlechts- und Sexualvielfalt der Menschheit angegriffen fühlen. Und eben auch Selbige, welche am Ende des Tages anfangen, durch Verbote Existenzen abzuschreiben. Nur weil man selber nicht von einem Thema betroffen ist, darf man sich gerne mit den Minderheiten unserer Gesellschaft befassen und diese ernst nehmen. In diesem Sinne wünsche ich mir einfach nur Liebe.

Danke Amy für diesen Einblick in deine Tätigkeit.

Amy Strong telefoniert mit Schuh.
© Bild: Niklas von Schwarzdorn
Amy Strong
© Bild: Niklas von Schwarzdorn
Amy Strong sommerlich

Drags are here to educate, right?

Small introduction round: Who is Amy Strong?
Amy Strong is my plus one, my highly extroverted alter ego. As a West Berlin drag queen, I try to entertain people and make them laugh. I focus on situational comedy and DJ sets in a pop culture spectrum. In Berlin, I’m known for my karaoke nights and escalating bingo evenings. When the spotlight is on, I draw attention to the world's grievances. Particularly regarding gender and sexual diversity. What hardly anyone knows, however, is that I’m also involved in educational and awareness work at schools. Something that would have helped me a lot back then.

For some time the topic ‘Drag- readings for children’ has been circulating through media like stomach flu through the digestive tract. You have also read for children before. What was that like for you, and did you experience any backlash?
Last year, for the first time, I did read to children and adolescents at a library in Pankow. I read from queer books that influenced me in previous years and partly even since my youth. I mainly read from books that I like to revisit to this day. From the Queer Encyclopedia to novels and an exciting biography of a magnificent trans* woman. The great thing, however, was the exchange afterwards. Our conversation was not limited to the books, we also talked about the realities for queer children and adolescents. Luckily, Berlin offers wonderful spaces for the youngest in our queer bubble. Of course, I expected backlash but fortunately, there was none. Situations like in Munich did not occur; there, doors to a library were once walled to prevent drags from sitting in front of children. My reading was perceived as entirely positive and I was warmly welcomed.

It’s nothing new that awareness and educational work, beginning from a young age, is essential to form an open society. But, how effective is awareness and educational work for adults?
I think it’s never too late to learn. In my awareness and educational work with adults, I normally encounter people who already have a history and opinions on certain points of view. Compared to queer awareness work with the youngest generation, approaches and content of discussions are completely different. Thus from time to time, one may face gay men with conservative stances, to whom the current Zeitgeist of gender-inclusive language doesn’t appeal. However, it is precisely adults influencing the world, and politics, as well as children, that might be impacted by our topics. I think with every workshop people can be more sensitized, bit by bit. Even if it’s just one epiphany despite little participation. If I can manage to give people the knowledge, not at least because of my biography and my encounters, that there is more than the binary gender system and hetero-normativity, then I have achieved plenty.

How exactly do you approach the topic of queer awareness and educational work?
Within awareness and educational work, it is important to initially work out what group will be present. The workshop is personalized depending on group size, age range, and also type of school. Every workshop is led by at least two workshop managers. In advance, I get important information and possibly important hints from my team and supervisor. In doing so I rely on diverse methods within the framework of sensibility training. However, one thing is always the same: We work with a focus on human rights, respect, and biography. This means that everything takes place within the scope of voluntariness and respect.

With my personal story, I try to reach people on an emotional level and thereby meet adolescents on equal footing. In the beginning, I also use different methods to show interest in adolescent experiences and biographies. We often have experiences with discriminationone in common, although based on different factors.

We generally focus on the word equality, and from there dive into our topics. Frequently the group has knowledge we can build on. In the end, it is possible to ask anonymous questions about our expertise and us personally. For this part particularly, we always take our time. The whole room often falls silent when we are asked about our coming-out stories or experiences with violence.

How strong is the headwind?
It’s always somewhere. Accusations of early sexualization or even sexual education on the part of religious and/or politically conservative voices are utterly unsubstantiated. And let's be honest: Such accusations only testify to ignorance and a lack of ability to reflect.

During workshops in adult, as well as adolescent education dismissive behavior and disruption can occur. Because we also encounter people who have been strongly conditioned by culture and religion, among other things. Oftentimes these people have never heard of our topic and experience it as something unnatural. Or it was instilled in them for their entire lives, that queerness is something weak and they have only negative associations with the word „gay“. In such a manner I already had to listen to people claim that I would have no right to live.

Where exactly can one experience your work?
I mainly work at schools in Berlin, as well as in Brandenburg. Occasionally I also knock doors of companies, associations, and institutions. Unfortunately, these workshops are not open to the public.

What do you wish for the future, particularly politically
I wish for more understanding and encounters on equal footing. Instead of the wild fake news and accusations spread, it would be time for respectful exchanges. Especially from the privileged people among us, I expect them to broaden their horizons. Ultimately it’s individuals that feel threatened by the natural, colorful and proven gender and sexual diversity of mankind. At the end of the day, it’s these people starting to write off people's existence with prohibitions. Just because someone is not directly affected by a topic, one is still encouraged to delve into the minorities of our society and take them seriously. In this sense, I just wish for love. 

Thank you, Amy, for this insight into your work.