Jess Schönrock ist eine queerpolitische und queerfeministische Autorin*, Referentin* und Key-Note-Speakerin*. Im Selbstverlag erschienen bislang vier ihrer Romane, die nicht nur wundervolle Belletristik sind, sondern Queerness in verschiedenen Facetten präsentieren. Damit ist Jess nicht nur eine literarische Entdeckung, sondern eine der wenigen Autor*innen, die mit konsequenter Queerperspektive erfolgreich ist. Journalistin Paula Balov sprach mit ihr über ihre Einflüssen, ihre Agenda und auch Kritik an der deutschen Literaturbranche.
Liebe Jess, wie bist du zum Schreiben gekommen?
Damals war ich vierzehn, und eine Freundin hat ihre eigene Geschichte geschrieben. Diese hat mir aber nicht gefallen und da habe ich sie kurzerhand umgeschrieben. Sie fand das gar nicht cool – heute können wir zum Glück darüber lachen. Man könnte also sagen, dass sie mich zum Schreiben gebracht hat. Und seit damals habe ich auch nicht mehr damit aufgehört. Queere Themen sind allerdings erst viel später dazugekommen.
Ich wurde schon öfter gefragt, ob es da einen Moment gab, in dem mir bewusst wurde, dass ich bevorzugt über queere Protagonist*innen schreibe. Den Zeitraum kann ich recht deutlich festlegen: Als die Mangas Boys Love und Girls Love in Deutschland auf dem Markt kamen, eröffnete sich eine ganz neue Welt für mich. In den Medien waren bis dahin vor allem heterosexuelle Beziehungen dargestellt.
Du bist nicht nur Autorin*, sondern machst auch viel queere Aufklärungs- und Bildungsarbeit und bietest Sensitivity Reading an – worum geht es dir dabei? Was sind deine wichtigsten Themen?
Neben meiner Tätigkeit als Autorin* bin ich auch Referentin*. Meine Schwerpunkte liegen in der medialen Repräsentation queerer Lebensrealitäten, toxische Männlichkeit, Klischees, Stereotypen, Vorurteile sowie Sprache und Macht. Sensitivity Reading und Workshops sind ein Teil dieser Arbeit, um Kolleg*innen in der Literaturbranche für mehr Diversität zu sensibilisieren.
Ich möchte etwas dazu beitragen, dass mehr Leute sich damit auseinanderzusetzen. Die meisten Menschen möchten nicht diskriminierend sein. Und weil wir so sehr daran glauben, tut es auch so weh, wenn wir erkennen, dass wir es doch sind. Wir wurden in einer Gesellschaft sozialisiert, die Diskriminierungen fördert. Sei es in der Sprache, im Umgang untereinander oder durch Medien. In der Literaturbranche haben wir noch mit sehr vielen konservativen Stereotypen, Klischees und Vorurteilen zu kämpfen – diese zu ändern benötigt die Zusammenarbeit von allen Akteur*innen: Autor*in, Verlag, Blogger*in und Buchhändler*in. Gemeinsam können wir eine wertschätzendere Medienlandschaft voranbringen.
Wenn es um queere Repräsentation geht, wird Belletristik oft übersehen. Bei Film und Fernsehen sind Diskurse über Repräsentation hingegen leichter zu finden – woran liegt das deiner Meinung nach?
In der Literaturbranche ist sehr viel in Bewegung. Der Wunsch nach mehr Diversität und Vielfalt ist auch hier angekommen, doch über Literatur wird seltener gesprochen. Dabei ist das Thema Repräsentation marginalisierter Gruppen in aller Munde. Leider wird nicht immer darüber diskutiert, wie man sich vielfältiger aufstellt, sondern noch viel zu oft über das ob.
Ein weiterer Punkt, weswegen wertschätzende Repräsentation oft nicht gesehen wird, ist – das muss ich leider so deutlich sagen – dass der Markt viele Autor*innen und ihre Werke unterdrückt. Ein Buch über Bad Boys, Romantisierung von sexueller Gewalt und über klischeehafte Frauenbilder verkaufen sich weitaus besser. Im Selfpublishing haben wir Autor*innen mehr Entscheidungsfreiheit, worüber wir schreiben. Die Schattenseite dieser Freiheit ist, dass wir nach wie vor mit Vorurteilen über unsere Arbeit zu kämpfen haben. Wir würden nicht professionell arbeiten, das Geld für Lektorat und Korrektorat sparen und im Allgemeinen keine Qualität bieten.
Wie bei allen Vorurteilen gibt es Menschen, die diese erfüllen. Allerdings möchte ich betonen, dass es auch Verlage gibt, die gerne sparen. Und an diesem Punkt wäre es mir lieber, dass wir aufhören würden, darüber zu diskutieren, ob Verlage oder Selfpublishing besser sind, sondern beides als Bereicherung für den Buchmarkt zu sehen. In der Literaturbranche muss sich noch einiges tun, doch es ist auch wichtig, dass wir sehen, dass es bereits Medienschaffende wie mich gibt, die sich für mehr Diversität einsetzen.
Warum ist wertschätzende, queere Repräsentation in der Belletristik so wichtig?
Meine eigene Geschichte ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr mediale Vor- und Rollenbilder uns beeinflussen. Ich war bereits Mitte zwanzig, als ich mir über meine sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität wirklich bewusst geworden bin. Durch früheren Zugang zu Büchern, Filmen, Serien oder Videospielen mit Repräsentation von Diversität hätte ich vielleicht schon als junger Mensch realisiert, wieso es okay ist, nicht so zu fühlen wie meine Freund*innen.
Daher ist es auch wichtig, dass wir weiter daran arbeiten, Vor- und Rollenbilder von marginalisierten Gruppen in unsere Medien zu inkludieren. Vor allem fordere ich eine Sensibilität von Medienschaffenden, sich darüber bewusst zu werden, wie viel Verantwortung sie tragen. Wenn wir immer wieder dieselben Klischees und Stereotypen reproduzieren, dann entsteht das Risiko, dass Konsument*innen denken, dass dies der Realität entspricht. Wenn wir also immer darstellen, dass schwule Männer BDSM praktizieren, dann kann es dazu führen, dass schwule Männer denken, sie müssen BDSM praktizieren, weil es dazu gehört. Wir sollten uns alle fragen, ob das wirklich der Weg ist, den wir gehen wollen, nur weil ein schwuler BDSM-Roman unterhaltsam ist.
Was macht aus deiner Sicht gute queere Repräsentation aus?
Die Auseinandersetzung mit queeren Lebensrealitäten ist essentiell, um mehr zu Schreiben als toxische Klischees. Wenn man in Autor*innen-Foren schaut, merkt man schnell, dass diese nach allem suchen: Der Verlauf einer S-Bahn-Linie im Jahr 1952, Regelungen für Erbschaften im Jahr 1812 oder die perfekte Art, jemanden umzubringen. Doch die wenigsten machen sich so viele Gedanken darum, wie sie marginalisierte Gruppen in ihren Romanen darstellen möchten.
Spricht man dies an, heißt es oft: „Darf man heute gar nichts mehr sagen?“. Ich frage dann gerne zurück: „Sollten Autor*innen sich nicht ihrer Verantwortung bewusst sein, in der Darstellung von Menschen nicht wie Arschlöcher vorzugehen?“ Es gibt etliche Möglichkeiten, sich zu informieren: Fortbildungen besuchen oder zum Beispiel ein Sensitivity Reading in Anspruch nehmen. Menschen aus marginalisierten Gruppen haben nur wenig Lust, ihre Lebensrealität und ihr Leid immer wieder als dramatisches Narrativ oder Marketingtool zu sehen. Der Umgang mit dem Thema ist unheimlich wichtig und man merkt, wenn Autor*innen sich damit auseinandergesetzt haben. Meistens jedoch merke ich beim Lesen, dass gar keine Auseinandersetzung mit den Themen stattgefunden hat.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Sprache. Was bringt es mir beispielsweise, wenn ich einen behinderten Menschen in meinem Roman einbaue und dann durchweg ableistische Worte nutze? Oder ich schreibe über ein lesbisches Paar und reproduziere jedes erdenkliche Klischee. Das ist in meinen Augen keine Repräsentation, sondern verletzend. Von Autor*innen erwarte ich keine Perfektion, jede*r von uns macht Fehler, während wir dazulernen – aber ich fordere eine Auseinandersetzung mit den Themen, über die wir schreiben. Zwischen Unwissenheit und Ignoranz gibt es Unterschiede.
Du bist Self-Publisherin* – war das eine politische Entscheidung für dich? Welche Vorteile (und vielleicht auch Nachteile) hat das für dich als queere Autorin*?
Ich war schon immer jemand, die gerne eigene Entscheidungen trifft. Im Selfpublishing habe ich die Kontrolle über meine Werke, aber auch das volle Risiko. Dies muss einen bewusst sein, wenn man sich dafür entscheidet. Im Selfpublishing kann ich gesellschaftskritische Bücher schreiben und trage nur mir gegenüber die Verantwortung, ob der Markt sie annimmt oder ob die gewählten Marketingwege richtig gewählt waren. Anders, als viele Leute denken, entscheiden sich viele Selfpublisher*innen nicht für diesen Weg, weil Verlage sie nicht annehmen – sondern weil sie Selfpublisher*innen sein wollen. Dieses Vorurteil hält sich leider sehr hartnäckig und ist schlichtweg nicht richtig.
Der Nachteil, den ich sehe, ist, dass der Buchmarkt sich bisher schwertut, Selfpublisher*innen zu akzeptieren. Aber ich arbeite mittlerweile auch mit einigen Buchhandlungen und Bibliotheken zusammen, die von Vorurteilen genauso die Nase voll haben wie ich.
Einige deiner Charaktere sind bi- oder pansexuell, z.B. im Roman Verliebt in Leander und Ein Nikolaus zu Weihnachten. Sie gehören somit einer sehr unsichtbaren queeren Gruppe an. Was hat dich dazu inspiriert, darüber zu schreiben? Was zeichnet gute, nicht-monosexuelle Repräsentation für dich aus?
Diese Entscheidung war sehr persönlich, denn ich identifiziere mich selbst als pansexuell. Ich kenne also all die Aussagen, die Menschen aus dem bi+ Spektrum immer wieder begegnen. Wir seien unentschlossen, wollen alles gleichzeitig, sind Sex-Monster usw. Außerdem kenne ich auch die Fremdzuschreibung, beispielsweise in Bezug auf meine eigene Beziehung mit einer Frau: Ich sei lesbisch, wieso ich das so kompliziert machen muss. Natürlich ist es auch Selfempowerment, dann für sich einzustehen und zu sagen: Nein, ich bin pansexuell. Aber es tut auch weh, sich immer wieder zu rechtfertigen.
Mit Leander, Noël und Niklas wollte ich Repräsentation schaffen und in Ein Nikolaus zu Weihnachten auf diese Themen eingehen. Gerade nicht-monosexuelle Orientierungen sind nicht so einfach darzustellen, wenn man nicht ein Banner über den Charakter spannt. Dennoch gibt es genug Spielraum. Beispielsweise kann es auch subtile Momente geben, wenn eine Frau davon erzählt, dass sie ihre Ex-Freundin gesehen hat, als sie mit ihrem neuen Freund unterwegs war. Für mich als Autorin* aber auch als Leserin* ist wichtig, dass Medienschaffende versuchen, gängige Stereotypen und Klischees aufzubrechen. Das Argument, dass es die Leute gibt, die das Klischee erfüllen, mag wahr sein, aber eine ganze Gruppe von Menschen auf eine Verhaltensweise zu reduzieren ist unangenehm und falsch.
In deinem Roman Trau dich, Paulina spielt die Hochzeitsindustrie eine wichtige Rolle, genauer gesagt die Heteronormativität in dieser Branche. Was hat dich zu dieser Idee bewogen?
Wie ich darauf kam, mich mit der Hochzeitsbranche zu befassen, kann ich gar nicht mehr genau sagen. Aber mir wurde auf meiner Recherche schnell bewusst, wie wichtig es ist, darüber zu sprechen. Die Branche ist an konservative Traditionen und Werte gebunden, die auch für heterosexuelle Paare zu einem Spießroutenlauf werden. Hierzu müssen wir nur die Sendungen im Fernsehen anschalten, wo mehrere Bräute um die perfekte Hochzeit wetteifern.
Natürlich ist es vollkommen in Ordnung, wenn sich Menschen mit diesen Traditionen und Werten identifizieren und es sie glücklich macht, sie zu erfüllen. Woran ich mich störe, ist wie wenig Flexibilität bis heute in der Branche herrscht. Auf einer Hochzeitsmesse sagte mir eine Hochzeitsplanerin, dass sie es nicht versteht, wie wir queere Menschen immer unsere Sexualität nach außen tragen müssen. Das würden heterosexuelle auch nicht tun.
An dieser Stelle muss aber auch klar gesagt werden, Hochzeiten im traditionellen Sinne waren schon immer eine Zurschaustellung von heterosexuellen Beziehungen. Für die längste Zeit wurden queere Menschen hier ausgeschlossen – nun zu behaupten, wir würden uns aufdrängen, obwohl wir noch immer darum kämpfen müssen, vollständig anerkannt zu werden, finde ich schon hart.
Natürlich tut sich auch einiges in der Hochzeitsbranche. Es gibt seit ein paar Jahren ein Branchenbuch, das sich auf dienstleistende Unternehmer*innen spezialisiert hat, die Vielfalt und Diversität fördern. Bei all meiner Kritik an der Branche, möchte ich vor allem dem Fokus auf diese Menschen richten, die bereits umdenken und sehen, wie wichtig ist, dass wir Traditionen und Diversität sich nicht ausschließen müssen.
Dein neuester Roman Espresso im Herzen ist Ende Januar erschienen. Worum geht es in dieser Geschichte? Warum hast du Italien als Setting gewählt?
Italien hat einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen. Bei einem längeren Aufenthalt am Comer See kam mir die Idee zu Espresso im Herzen. Durch meine Freund*innen in Italien wusste ich bereits Bescheid über die Situation für Queers und wollte unbedingt etwas schreiben, was den Fokus auf Queerness in Italien legt. Mit Lecco Pride konnte ich ein Interview zu den Wünschen und Sorgen der italienischen Community führen, dies ist ebenfalls im Buch abgedruckt.
Die wenigsten von uns denken darüber nach, wie es queeren Menschen in den Ländern geht, in denen wir Urlaub machen. Auch in Italien habe ich einige Tourist*innen gesehen, die mit ihren gleichgeschlechtlichen Partner*innen Hand in Hand am Seeufer oder in Milano herumspaziert sind. Eine Freundin aus Como sagt mir jedoch: Wir Italiener*innen haben Angst, die Hand unserer Partner*innen zu nehmen. Indem ich darüber spreche, möchte ich natürlich niemanden den Urlaub in Italien madig machen – aber ich finde, wir sollten manchmal auch einen Blick auf unsere Geschwister in unseren Urlaubsländern haben.
Mir war es wichtig, keine Abhandlung über Diskriminierungen zu schreiben, sondern eine Geschichte, in der der Weg der Protagonisten im Vordergrund steht. In Espresso im Herzen begleiten wir Marco, der mit seinen Freund*innen Urlaub am Comer See macht. Dort lernt er Matteo kennen und ist bereit, all seine Prinzipchen über Bord zu werfen – aber dies wird nicht sofort von Matteo erwidert.
Hast du schon den nächsten Roman in der Pipeline, über den du uns was verraten möchtest?
Gerade bin ich in den letzten Zügen zum neuen Projekt. Zu viel möchte ich nicht vorwegnehmen, aber Bisexualität wird wieder ein Thema sein. Insbesondere eine Konstellation, die sich in der queeren Community oft nicht gesehen fühlt.
Liebe Jess, vielen Dank für das Gespräch.
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