In ihrem Artikel beleuchtet Ina Rosenthal, warum Konflikte in Beziehungen nicht das Ende, sondern oft der Anfang von Veränderung sind – besonders in lesbischen und FLINTA*-Beziehungen. Sie zeigt, wie gesellschaftliche Erwartungen, patriarchale Strukturen und fehlende Sichtbarkeit queere Paare prägen – und warum Standardratgeber selten greifen.
„Ich brauch heute Abend einfach kurz Zeit für mich“, sagt Ayla. Bettina runzelt die Stirn: „Schon wieder? Wir wollten doch gerade reden…“ Zwei Frauen, ein Wohnzimmer, ein Moment, der zeigt: Nähe versus Distanz ist ein Dauerbrenner unter Konflikten.
Konflikte gehören zu jeder Beziehung. Sie entstehen aus unterschiedlichen Bedürfnissen, Erwartungen, Erfahrungen und Stress – und sie sind wichtig, um Nähe, Vertrauen und persönliche Grenzen zu wahren. Gleichzeitig gibt es ein Phänomen, das nicht leicht zu tragen ist: Sobald wir uns emotional sicher fühlen, tauchen alte Verletzungen wieder auf. Sie suchen ihren Platz im Hier und Jetzt – um gesehen und verändert zu werden. Solche Momente können Spannungen verstärken, Missverständnisse auslösen oder die Beziehung belasten. Gleichzeitig bieten sie die Chance auf tieferes Verständnis, echte Nähe und persönliches Wachstum.
Was hilft, wenn es in der Beziehung kriselt? Und vor allem: Was hilft Frauen*, Lesben und FLINTA*-Personen, wenn der Leidensdruck zu groß wird und man gemeinsam etwas verändern möchte?
Vielleicht landet man dann in der örtlichen Buchhandlung vor den Regalen und findet dort: Kommunikationstipps, „Paartherapie light“, Sexratgeber für sie & ihn. Schlägt man vereinzelt die Bücher auf, findet man oft einen Satz wie diesen: „Zur Vereinfachung benutzen wir das Maskulinum. Natürlich sind auch gleichgeschlechtliche Paare gemeint.“ Klar. Fühlt sich an wie ein nachträglicher Post-it: Ach ja, euch gibt’s ja auch.
Lesbische Beziehungen sind kein Copy-Paste von Heterobeziehungen ohne Mann. Ja, Liebe ist universell – Kommunikation, Bindung und die Folgen von Traumata manifestieren sich in Beziehungen unabhängig von sexueller Identität und Begehren. Aber der Alltag einer Beziehung zwischen FLINTA*-Personen unterscheidet sich deutlich.
Diskriminierungserfahrungen, gesellschaftliche Erwartungen, Sozialisation und die Kraft des Patriarchats mischen sich subtil, aber spürbar ein. Schon in der Kindheit lernen Frauen* oft, Harmonie zu wahren, Fürsorge zu leisten und Konflikte möglichst leise auszutragen. Diese Muster setzen sich im Beziehungssalltag fort: Wer Nähe einfordert, bekommt schnell Schuldgefühle eingeredet; wer Distanz wünscht, wird manchmal als „kalt“ oder „emotional unzugänglich“ bewertet. Hinzu kommen Diskriminierungserfahrungen – subtile Abwertung, fehlende Sichtbarkeit, Vorurteile – die Vertrauen belasten und alte Verletzungen reaktivieren.
Während heterosexuelle Paare ausführlich Unterstützung finden, bleibt vieles, was lesbische oder andere queere Paare betrifft, oft unerwähnt – in Ratgebern, Therapie, Beratung oder Ausbildung. Das führt nicht nur zu Unsicherheit, sondern erschwert es, Konflikte konstruktiv zu bearbeiten.
Wer Psychologie studiert oder eine therapeutische Ausbildung macht, lernt selten etwas über die Besonderheiten lesbischer oder queerer Beziehungen. Queere Paare werden oft „mitgemeint“ – oder auf stereotype Vorstellungen reduziert. Strategien, die in heterosexuellen Partnerschaften greifen, funktionieren hier aber nicht automatisch. Dass Queere-Beziehungsrealität in der therapeutischen Grundausbildung so gut wie unsichtbar bleibt, zeigt sich auch in konkreten Weiterbildungssituationen – wobei es durchaus spezialisierte Angebote gibt, sie aber selten in die grundlegende Ausbildung integriert sind.
Vor vier Jahren saß ich in Berlin in einer Gruppe, um mich über die Methode der Schematherapie zu informieren – einer psychotherapeutischen Methode, die darauf abzielt, frühkindliche Muster, sogenannte „Schemata“, zu erkennen und zu verändern, weil sie noch im Erwachsenenleben unser Denken, Fühlen und Handeln prägen. Sie wird häufig bei wiederkehrenden Beziehungskonflikten oder chronischen emotionalen Problemen eingesetzt.
Nach nur 15 Minuten wurde mir klar, wie eng die Perspektive war: Die Präsentation erklärte lesbische Sexualität und lesbisches Beziehungsleben im kausalen Zusammenhang mit vernachlässigender Kindheit und/oder erlebter sexueller Gewalt. Komplexität, Normalität oder Vielfalt lesbischer Beziehungen? Fehlanzeige. Statt einer differenzierten Betrachtung wurden stereotype Annahmen über Trauma und Beziehungs(un)fähigkeit vermittelt. Lesbische Liebe und Beziehungsleben erschienen als Ausdruck einer „unreifen Beziehungsfähigkeit“ – ein altmodisches, stark pathologisierendes Bild, das direkt an Freuds stereotype Annahmen erinnert. Das 19. Jahrhundert grüßt verwirrt und fragt sich, was im Jahr 2000 eigentlich geschieht.
Dieses Erlebnis zeigt deutlich, dass selbst in professionellen Kontexten lesbische und queere Lebensrealitäten auch heute noch häufig ignoriert, vereinfacht oder pathologisiert werden – mit Auswirkungen darauf, wie Beratung, Therapie und Unterstützung in der Praxis angeboten werden.
Lesbische Beziehungen machen sichtbar, wie Beziehung jenseits tradierter Normen funktionieren kann – reich an Eigenheiten, Potenzialen und Kreativität. Wer sie ernst nimmt, erkennt nicht nur Stärken und kreative Lösungen für diese Paare, sondern auch neue Perspektiven für Beziehungen allgemein. Konflikte, Unterschiede und Eigenheiten sind kein Makel, sondern ein Teil der Beziehung. Sichtbarkeit, Anerkennung und qualifizierte Unterstützung sind kein Luxus, sondern Recht.
All das zeigt: Lesbische Beziehung, Dynamik, Liebe – sie sind gültig, wertvoll und stark. Indem wir unsere Bedürfnisse ernst nehmen und Unterstützung einfordern, gestalten wir nicht nur unsere Partner*inschaft, sondern tragen auch zu einem Bild von Beziehungen bei, das Vielfalt, Selbstbestimmung und Kraft feiert. Jede Herausforderung kann so zu einer Chance werden, gemeinsam zu wachsen – in der Beziehung und in der Gesellschaft. Das alte Motto bleibt also aktuell: Das Private ist politisch.
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