v.l.n.r.: Julia Kadel, Friede Merz, Laura Winkler, Erik Leuthäuser
© Bild: Miriam Kadel

Interview mit QUEER CHEER

Im Juli 2022 haben sich vier Jazz-Musiker*innen zusammengetan und QUEER CHEER gegründet. Ziel war es, im Jazz und in der improvisierten Musik endlich Sichtbarkeit und Raum für Realitäten fernab der weißen cis männlichen heterosexuellen Norm zu schaffen – und der Jurypreis beim diesjährigen Deutschen Jazzpreis war wohl verdient. Unsere Redakteurin Friederike Suckert hat Julia Kadel, Friede Merz und Erik Leuthäuser über ihre Ziele befragt und wurde mit einem intimen und kämpferischen Gespräch überrascht.

Hallo Ihr Lieben, zuallererst Glückwunsch zu Deutschen Jazzpreis! Was hat sich seit der Verleihung bei euch getan?
Friede: Ich bin auch in anderen Initiativen neben QUEER CHEER aktiv und bin nun das Enfant terrible in der Szene, man kommt nicht mehr so leicht an mir vorbei. Ich habe das Gefühl, ich werde ernster genommen, denn Dinge, die nicht so gern gehört werden, werden nicht mehr einfach ignoriert. Aber wir haben auch mehr Reichweite und viele haben uns ihre Unterstützung zugesprochen.

Erik: Menschen wollen mitmachen, auch wenn es ggf. räumlich schwierig wird. Das bereitet mir noch mehr Freude auf die Arbeit, die nun vor uns liegt, aber die wir durch das Preisgeld realisieren können. 

Julia: Für mich hat sich geändert, dass ich definitiv out bin. Es war für mich neu und im positiven Sinne ein großer Schritt. Ich hatte großen Respekt davor, aber es fühlt sich gut an. Mein Leben ist darauf zugesteuert, dass ich mich politisch engagieren muss. 
Ich habe als weiblich gelesene Person im Berufskontext viel Sexismus erfahren. Als ich das mit meinem Queersein verbunden habe, habe ich erkannt, dass es ein strukturelles und kein persönliches Problem ist, das vor allem nichts mit mir und meinem Verhalten zu tun hat. Ich habe irgendwann gemerkt, dass es nicht ausreicht, nur über meine Musik zu sprechen und in Interviews zu sagen: „Lass uns bitte nicht über das, was ich vermeintlich sein soll, sprechen, sondern über das, was ich mache – meine Musik.“ Es kamen nämlich oft Fragen, die darauf abzielten: „Du als Frau am Klavier/ Frau im Jazz/ Was ist female jazz für dich?“. Ich habe gemerkt, dass ich mich aktiv für mehr Gleichberechtigung engagieren muss, wenn ich eine Verbesserung der Situation herbeiführen will. Und das hat unter anderem in die Initiative QUEER CHEER gemündet, und ich habe angefangen, öffentlich über meine Diskriminierungserfahrungen zu sprechen. 

Wie seid ihr vorher mit Mikroaggressionen und Diskriminierung, auch in der Bezahlung, umgegangen? Kanntet ihr schon eure Leute und konntet euch über manche Kolleg*innen austauschen oder habt ihr das für euch allein mitgenommen?

Erik: Ich glaube, es gibt noch immer relativ wenig offen queere Menschen in unserem Arbeitsfeld Jazz und improvisierter Musik. Ich hatte wenig Möglichkeiten, mit queeren Menschen zu arbeiten und wenn, dann habe ich mich natürlich sehr gefreut. Das war dann oft außerhalb vom Jazz oder mit wenigen Verbündeten. Wenn ich z.B. eine*n Gitarrist*in gesucht habe, bei denen ich mich wohler gefühlt hätte, sind sie oft nicht verfügbar. Ich glaube, unsere Iniative bringt mehr Sichtbarkeit und vielleicht wollen andere Leute offener leben oder sogar Teil von uns werden.

Julia: Oder vielleicht auch mit uns Musik machen, weil sie uns sehen. Vielleicht denken sie sich, dass sie die Art von Musik ganz spannend finden. Ich könnte ja auch Schlagzeug spielen und nicht nur singen. Sich freimachen von den Stereotypen und den Ebenen, die beim Musik machen existieren, sie erweitern und zu brechen. Einfach mehr geteilte Realität und ein neuer Wind waren unsere Motivation. Wir wollen nicht immer alles an Einzelfronten austragen, um dann am Ende doch die einzige queere Person in einem Raum zu sein. Dafür werden wir ein Festival starten. 

Erik: Ich finde es gerade in diesem Jahr wichtig, sowas zu starten. Queerfeindliche Gewalt ist in Deutschland wieder auf einem Hoch und dieser Preis setzt ein gutes Zeichen.

Friede: In Deutschland fällt ja gern der Begriff „Verdrängungsgesellschaft“ und wir werden sehen, wie sehr das auf die queeren Rechte in Deutschland zutrifft. Eigentlich sieht es auf dem Papier so aus als würde es mit dem Selbstbestimmungsgesetz besser werden, aber es ist nicht ideal. Es gibt weitere Gefahren in diesem Gesetz und es war auch in anderen Belangen bislang so, dass Hetzkampagnen, die in anderen Demokratien angefangen wurden wie in Großbritannien und den Vereinigten Staaten, einen Einfluss in Europa haben. Dann macht Symbolpolitik doch schon mehr. Wenn mit uns mehr Sichtbarkeit kommt und mehr Positives verknüpft ist, und es den Community-Aspekt hat, und wenn es in andere Communitys reinsuppt, ist es die beste Voraussetzung für eine bessere Information und gegen Desinformation. Dass es nicht nur Akzeptanz und Toleranz ist, im schlimmsten Sinne von „Don’t ask, don’t tell“, sondern dass es bessere Infos gibt und damit weniger Unsicherheit und Unbehagen. Alles, was in Hass münden könnte, kann so von vornherein abgewiegelt werden. Es geht besser, wenn man viele Leute erreicht und eine Bühne bekommt.

Zurück zu euch: Ich kenne mich kaum im Jazz aus, auch nicht im deutschsprachigen Jazz, aber ich habe eine Ahnung, dass die Szene nicht so divers ist, wie sie sein könnte. Hat der ‚alte weiße Mann‘ mal wieder alles an sich gerissen? Könnt ihr in diese Blase reinstechen?

Friede: Jazz ist eigentlich frei und revolutionär, könnte man meinen. Der Ursprung der Musik ist der Aufstand der Afro-Amerikaner*innen gegen die Sklaverei und die Bürgerrechtsbewegung. Davon ist, vor allem in Europa und Deutschland, nicht mehr viel übrig. In Deutschland gilt der Jazz als Unterhaltungsmusik und wird von der GEMA als Unterhaltungsmusik kategorisiert, was deutlich schlechter bezahlt wird als ernste Musik. Auf der anderen Seite ist Jazz die Musikart in der Kategorie, die die meiste staatliche Förderung erhält. Wir sind aber noch immer weit von der Klassik entfernt. Wir stehen nicht so schlecht da, aber trotzdem sind Institutionen sehr wichtig. Mittlerweile sind Hochschulabschlüsse im Bereich Jazz das unausgesprochene Minimum, um sich in der Szene zu behaupten. Man muss den Abschluss immer vorweisen als Qualifikation und Gütesiegel für die Musik. Sieht man sich aber an, wer an den Hochschulen studiert und was auch der Gender-Report sagt, gibt es nur 20% Frauen* im Jazz, der Rest liest sich weiß und cis männlich. 

Julia: Und vor allem muss man auch schauen, wer unterrichtet und diese Institutionen leitet. Wer organisiert und kuratiert Events und Festivals, vergibt die Förderungen und sitzt in den Komitees: Es sind selten nicht-cis-männliche heterosexuelle Personen, die an der Macht sitzen. Es fühlt sich wie geschlossene Kreise an. Es gibt aber nicht nur deren Geschichten zu erzählen.

Erik: Dass andere Geschichten und Konzepte nicht im Jazz und der Instrumentalmusik stattfinden, ist ein Qualitätsmerkmal. Und da muss man nachdenken, warum das so ist. Was muss sich ändern, damit alle ein Teil davon werden? Unsere Community ist sicher ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Bei Interviews, Panels und Jobs spüre ich oft einen Repräsentations-Druck als „einziger schwuler Jazz-Sänger“. In Dokumentationen muss man seine Kindheitstraumata offenbaren. Ich wünsche mir einfach, dass wir immer mehr werden und mit Veranstaltungen eine Sichtbarkeit schaffen.

Julia: Da hat die Community eine Schutzfunktion und es geht weg von der persönlichen Front hin zu etwas Institutionellem, auch wenn wir erst mal noch klein sind. Hinzu kommt ein allgemeines Wissensgut und ein Spirit, der weniger ignoriert werden kann, wenn man jetzt anfängt, sich zu engagieren.

Friede: Die unterschiedlichen Geschichten auf der Bühne kommen nicht nur den einzelnen Musiker*innen zugute, sondern die Venues und Bühnen bekommen viel mehr Reichweite und vor allem auch mehr Facetten. Man bekommt nicht immer das Gleiche zu hören. Denn es ist egal, wie gut es ist: Irgendwann wird es langweilig.

Julia: Verbessert mich, wenn ich falsch liege: Es geht ja auch nicht darum, dass man nur noch Kunst über das eigene Queer-sein macht, sondern es sollen einfach diversere Realitäten mit rein. Wir erleben Dinge, die andere nicht kennen und sind auch von einer bestimmten Gewalt betroffen. Das muss gehört werden!

Queer ist nur eine Facette und wenn man das an einem Ort einfach nur sein kann, dann kann man den nächsten Schritt gehen, weil die Energie nicht mehr zum Selbstschutz gebraucht wird. Es ist ein Privileg, auf der Arbeit einfach man selbst zu sein und Dinge wie Pronomen zu diskutieren, ohne dass sich jemand persönlich angegriffen fühlt. Wenn diese Bildungsarbeit wegfällt, erleichtert das so viel. Ich bin gespannt, wie ihr das in fünf Jahren empfindet. Nun weiß man ja, dass Menschen sich immer schwer tun mit Veränderungen und solchen Initiativen: Habt ihr Hassnachrichten oder einen dummen Spruch von Kolleg*innen bekommen?

Friede: Joa, neulich erst. Da war noch nicht allen klar, außer mir, dass wir den Preis erhalten und da meinte jemand zu mir: „Ja, kann ja jeder er/sie/es, alles mögliche sein, ist mir ja egal. Ich muss es doch nicht wissen. Ich hab da einen Kollegen auf der Arbeit, der lässt das nicht so raushängen und dann ist das auch okay so.” Das war bisher das Offensivste. Ich bin grad so zwischen cis und ich-weiß-nicht-wo, bin weiblich repräsentierend und habe das Privileg, dass ich nicht viel abbekomme. Meine Mitbewohnerin ist am Anfang ihrer Transition und kommt jeden Tag mit Geschichten nach Hause.

Julia: Als ich auf Instagram den Jazzpreis gepostet habe, kam so in etwa die Frage, warum es denn kein Feld des Lebens mehr ohne Politisierung gäbe. Warum muss man denn jetzt schon wieder eine queere Perspektive über etwas drüber stülpen. Es ist immer problematisch, wenn über Betroffenheiten geurteilt wird, die man selbst nicht teilt.

Friede: Es wird immer gefragt, warum wir uns kategorisieren müssen, wir sind doch alle Menschen. Es ist aber eine große Sache, wenn man zur Arbeit gehen und man selbst sein kann. Ich habe schon zwei kulturpolitische Ämter aufgrund dessen aufgegeben. Bei dem einen war für Awareness überhaupt kein Raum, aber sie haben natürlich trotzdem Panels darüber veranstaltet, obwohl im Rest des Jahres und auf der Homepage keine Platz dafür ist. Und den Vorstandssitz bei Music Women* Germany habe ich aufgegeben, weil da recht schnell klar, dass sie sich FLINTA* auf die Fahnen schreiben, aber nur Frauen und solche, die wie Frauen aussehen, meinen. Ich habe die Gründe gepostet und auch da wurde mir vorgeworfen, dass ich zu kleinteilig denke und wohin das alles noch führen solle.

Weißer Feminismus wiederholt sich immer selbst.

Friede: Sehr schmerzhaft.

Ich hab im Rahmen einer anderen Recherche mit einem konservativen schwulen Mann geredet und auch er hat gesagt, wir sollten nicht übertreiben mit dem Wunsch nach den richtigen Pronomen, wir würden sonst langsam den Rückhalt der Gesellschaft verlieren.

Friede: Es ist auch ein langwieriger Prozess festzustellen, wo innerhalb der Community Ausschlüsse stattfinden. Im Berghain wurde sich zum Beispiel über meine Bisexualität lustig gemacht von zwei cis Schwulen. Meistens laufe ich da unter dem Radar, aber meine trans Mitbewohnerin musste binnen einer Stunde zwei Übergriffe erleben. Es ist halt auch so, dass cis schwule Männer über ganz andere Ressourcen verfügen und auch eine gewisse Macht in unserer Community ausüben. Das ist auch nochmal ein großes Feld.

Julia: Die Mitglieder von QUEER CHEER sind bislang alle weiß und haben die deutsche oder österreichische Staatsbürgerschaft, aber wir wissen auch, dass das nur einen kleinen Teil der Realität abbildet. Mein Weiß-sein zu begreifen ist auch ein stetig vorangehender Lernprozess. Was bedeutet das? Ich weiß nicht, wie sich Rassismus anfühlt, aber ich muss immer mehr lernen, wie sich Weißsein anfühlt, was alles meine Privilegien sind, in welchen Situationen ich generell davon profitiere, wohingegen andere benachteiligt, ausgeschlossen oder sogar angegriffen werden. Und da müssen wir ansetzen und uns als weiße Personen gegen Rassismus engagieren. 

Erik: Jazz ist Black American Music und es wäre mir wichtig, dass Musikhochschulen einen größeren Fokus auf Rassismus und das eigene Weiß-sein legen.

Friede: Nur ein wenig Kontext: Als vor drei Jahren der Deutsche Jazzpreis das erste Mal verliehen wurde und alle froh waren, dass es einen Nachfolger vom Echo gibt, gab es eine Initiative „Musicians For“, von der ich auch ein Teil war. In den nationalen Kategorien gab es eine nominierte PoC und ansonsten in der Jury und im Board überhaupt keine. Das haben wir kritisiert und eine Petition für alle zum Unterschreiben ausgelegt. Wir haben auch ein Diversitätstraining nahe gelegt und das wurde dann auch absolviert. Der Witz ist, dass wir wahrscheinlich aufgrund dessen schon auf dem Schirm waren, aber wir wissen es nicht genau.

QUEER CHEER ist ein Teil von Future Bloom das ist die Meta Community und die haben in der Pandemie aufgerufen, sich zu organisieren, damit man auch unabhängig von den Förderungen wird. Dabei sollte man möglichst intersektional sein. Das Wort als weiße Person zu benutzen ist tricky. Als wir QUEER CHEER gegründet haben, haben wir auch darüber nachgedacht, wer hier eine Gruppe gründet. Wir sind alle Jazz-Akademiker*innen und da gibt es sehr wenig PoC. Wir haben beschlossen, erstmal anzufangen, aber wir haben von vornherein den Wunsch, die Community intersektional zu gestalten. Dafür haben wir auch einen Stammtisch gegründet.

Julia: Das Zusammenkommen in dem Rahmen war auch schön. Einfach zwanglos quatschen und die Themen beleuchten, die da ggf. aufkommen. So einen offenen Raum hab ich noch nie erlebt und ich war auch aufgeregt.

Man ist ja als Musiker*in ja immer selbstständig und allein am Rödeln, da ist eventuell nicht so viel Zeit, über solche Dinge zu sprechen.

Julia: Dass sich alle die Zeit genommen haben, zeigt die Dringlichkeit und das starke Bedürfnis danach.

Habt ihr euch schon mit anderen Initiativen wie ACT OUT verbündet und nehmt da auch ein Know How mit? Denn im Grunde sind es ja immer dieselben Schritte nach so einer Gründung.

Friede: Ich bin auch in anderen Initiativen aktiv, aber die sind aus der Musikszene heraus entstanden und auch aus einer Szene heraus, der ich mich zugehörig fühle. Die Pandemie hat einmal mehr gezeigt, wie feingliederig das alles ist. Es war schon schwierig genug, Musiker*innen aus allen Genres dazu zu bringen, ein einheitliches Statement zu verfassen. Die Lebens- und Arbeitsrealitäten sind je nach Genre auch sehr unterschiedlich. Die Verknüpfungen zu anderen, obwohl man für dieselbe Sache kämpft, ist sehr schwierig. Ich werd mich aber bald mehr umgucken.

Julia: wir sind noch in der Entstehung und die Verknüpfung mit anderen steht noch an, aber das wollen wir auch. 

Friede: JOIN FORCES! Wir haben jetzt schon dieses Glücksgefühl von der Community, aber je mehr wir sehen, dass es auch andere gibt, mit denen es richtig gut zusammen passt, empowerd das noch mehr. Wir werden jetzt einfach mehr Ernst genommen und das wird auch mehr, wen man sich mit anderen Initiativen zusammen schließt.

Ich denke, bei dem stattfindenden Rechtsruck ist eine Verzahnung von allen auch mehr als notwendig.

Friede: Wir müssen uns wegen der Gemeinsamkeiten und Erfahrungen zusammen tun.

Ich danke für das Gespräch und zettele dann mal die nächste Revolution an.