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Regenbogenfamilientag 2023 - Wie steht's um queere Familien?

von Friederike Suckert

 

Das Abstammungsrecht muss reformiert werden. Das fordern viele Regenbogenfamilien und war auch am diesjährigen Aktionstag wieder Thema. Nach 16 Jahren Merkel-Regierung kann man das auch von der Ampel erwarten, aber es wird noch dauern. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) bringt das Thema immer mal wieder auf, aber FDP-Justizminister Marco Buschmann ist, wie schon beim Selbstbestimmungsgesetz, eher gegen weniger Kontrolle durch den Staat. Anlass genug um zu hinterfragen, wo wir gerade stehen und wie (vor allem, aber nicht nur) lesbische Eltern mit der zur Zeit noch üblichen Stiefkindadoption zurecht kommen.

Ich adoptiere mein eigenes Kind?

Bei der Stiefkindadoption muss die Co-Mama das Kind adoptieren, um Entscheidungen wie Impfungen treffen zu können. Das bedeutet nicht nur einen ellenlangen bürokratischen Aufwand, viele Gespräche mit dem Jugendamt oder Notar*innen, sondern eine gewisse Unsicherheit, denn ein Gerichtsurteil ist nie sicher.

Die Situation ist zermürbend und unfair. Kann doch jeder cis Mann einfach seinen Namen auf die Geburtsurkunde setzen, egal ob Erzeuger oder nicht. Das ist mitnichten zu verurteilen, ganz im Gegenteil: Familienmodelle sind vielfältig, und Queers fordern gleiches Recht für Alle, und zwar das Abstammungsrecht.

Das bedeutet, dass die Partnerin sofort als weitere Erziehungsberechtigte in die Geburtsurkunde eingetragen wird. Die gebärende Person gilt bisher als alleinerziehend, egal ob das Kind gemeinsam großgezogen wird. Die Initiative NODOPTION setzt sich seit 2020 genau dafür ein. Der Verband von betroffenen Familien führt strategische Prozesse vor Gericht, damit am Bundesverfassungsgericht endlich anerkannt wird, dass das bisherige Abstammungsrecht diskriminierend ist.

Ist es denn wirklich so schlimm, zu ein paar Behörden zu rennen?

Ja, ist es.

Hat mich alles nicht interessiert, bis es meine Freundinnen traf. Von der einen Mama habe ich mir die zusammen gesammelten Babysachen angeschaut, und zu meinem: „Ach, ihr wisst doch, ist mir egal wie ihr das Kleine anzieht, ich verurteile da nix!“ gekontert bekam: „Haha, achso, du bist nicht die vom Jugendamt?“ Schon ist die Situation überhaupt nicht mehr witzig, und meine cis hetero Freund*innen müssen daran nicht einen Gedanken verschwenden.

Ein befreundetes Paar, das anonym bleiben möchte, hat den Prozess jetzt begonnen, das Mäuschen ist zwei Jahre alt. Kim und Denise (geänderte Namen) trafen sich über eine Dating-App und mit dem Dackel Trudi war alles perfekt. Irgendwann kam der Kinderwunsch und los ging es: Woher das Sperma nehmen und so weiter? Kim wollte unbedingt ein Kind austragen, aber um die 40 ist das nicht so einfach, das hat die Gynäkologin auch mit Nachdruck verdeutlicht. Also ab nach Dänemark, denn da ist die anonyme Samenspende nicht illegal und für alle möglich. In Deutschland hingegen würden sich Ärzt*innen strafbar machen, wenn eine unverheiratete Person künstlich befruchtet wird. Der erste Versuch klappte nicht, und dann kam schon die Corona-Pandemie mitsamt dichtgemachter Grenzen. Die beiden haben es geschafft, jemanden zu finden, der gern helfen möchte ohne irgendwie Verantwortung zu übernehmen. Eine juristische Grauzone, im Grunde illegal. Und das nur, weil ein Becher dazwischen geschaltet war. Wäre das betrunken im Club passiert, kein Problem (macht das nicht, Leute, bedenkt auch immer die Geschlechtskrankheiten.)

Schon die erste Ungerechtigkeit: Drei erwachsene Menschen wählen diesen, sehr wohl überlegten und gewollten Weg und fallen aus dem deutschen Recht. Taucht der Erzeugername irgendwo auf, könnte es also sein, dass Denise kein Sorgerecht für ihr Mäuschen bekommt. Natürlich ist das in der Regel nicht im Sinne der Jugendämter, aber es ist eben auch nirgendwo Schwarz-auf-Weiß festgesetzt. Auch wenn ein Zettel von Mama Kim schon reichen soll: Damit kann Mäuschen aber Co-Mama Denise nie in die Pflicht nehmen, und auch sonst sind keine weiteren Entscheidungen ohne Kim möglich.

Ohne Übergriffigkeit geht es nicht

Beim Jugendamt ist die Beraterin der Familie wohl gesonnen und bestätigt, dass es nur im äußersten Fall zu einer Ablehnung kommen wird. Das ist ja auch alles nicht mehr so neu für das Amt. Das Kindeswohl steht an oberster Stelle und das bisherige Umfeld ist das Beste. Allerdings kann sich eine Predigt nicht verkniffen werden. Wird dem Mäuschen denn auch wirklich erklärt, woher sie kommt? Sie muss den Vater kennen lernen! Was soll sie den anderen Kindern sagen? 

Erstens geht es das Amt überhaupt nichts an, wie alles mit dem Erzeuger geregelt ist. Er will nicht dabei sein, aber natürlich würden sie Mäuschen ein Kennenlernen ermöglichen, wenn sie das möchte. Zweitens kann ja gern mal die Gesellschaft an sich darüber nachdenken, wie über die Vielfalt von Familien gesprochen wird. Kostenlose Bildungsarbeit ist zermürbend. Und wenn es bei zwei cis Frauen schon eine Sensation ist, dann fragt mal, wie es trans Eltern geht.

Die folgende Bürokratie ist ermüdend: Denise muss erstmal zum Notar, um dann dort zu hören, dass die Infos über die nötigen Unterlagen den kommenden Weg nicht korrekt waren. Sie benötigt Gutachten, dass keine psychischen Krankheiten vorliegen, ein ärztliches Attest, der Beleg der Schuldenfreiheit und ein polizeiliches Führungszeugnis. Auch bei allem Verständnis für die Absicherung des Kindes: Kein cis Mann muss dasselbe aufbringen, weil es schlichtweg in die Privatsphäre eingreift. 

Hat man dann alles binnen drei Monaten zusammen, was als berufstätige Person oft schwer zu bewerkstelligen ist, startet das Adoptionsverfahren. Die Sachbearbeiterin, die nur vor Gericht ihre Beurteilung verkündet und nichts entscheidet, wird in die Wohnung kommen. Sie schaut sich das Verhältnis zwischen „Stief-Elternteil“ und Mäuschen an und ja, Denise muss dann auch noch erzählen, in welchen Familienverhältnissen sie aufgewachsen ist. Was sagt das über irgendwas aus? Hoffentlich hilft dann das Motivationsschreiben zur Adoption, das Denise natürlich auch noch zu verfassen hat. 

Aber auch für den Erzeuger, der wirklich nirgendwo auftauchen möchte und einfach nur nett sein wollte, kann es nochmal einen Aufwand geben. Er kann die Vaterschaft anerkennen um sie dann abzutreten, das wäre die korrekteste Form. Möchte er aber nicht. Absolut fair, denn das war so besprochen, aber wieder ist man von der Bereitschaft eines anderen abhängig. Also kann er einen Brief schreiben, in dem er auf die Vaterschaft verzichtet und bekommt dann noch einen Anruf, in dem er das nochmal erklären muss. Das sollte man eigentlich nur mit Vätern tun, die keinen Unterhalt zahlen, mal ganz am Rande. Wie auch immer, im schlimmsten Fall muss der Erzeuger vor Gericht erscheinen.

Was rechtfertigt diesen Aufwand? 

Nichts. Queere Partnerschaften sind nicht gleichgestellt mit cis heterosexuellen. Würden die Zwei heiraten, würde es in Zukunft vermutlich einfacher werden, aber warum? Zwangsehe ist meines Erachtens verboten. Es mag auch sein, dass der Prozentsatz an den Adoptionsverfahren klein ist, aber für unterbesetzte und überlastete Ämter ist dieser diskriminierende Kram unnötige Arbeit.

Die Erfahrungen sind für Denise auch nur die Spitze des Eisbergs, sie sieht sich als die andere Mama nicht gesehen und outet sich immer. Diskussionen mit anderen, ob Freund*innen oder Erzieher*innen, sind keine Seltenheit, weil die Leute immer noch erstaunt sind, wie das alles vonstatten geht. Sie will mehr Sichtbarkeit auf allen Ebenen.

Trotz allem muss ich sagen, dass sich was bewegt. Nodoption konnte inzwischen das sechste Mal ein Amtsgericht davon überzeugen, dass das Abstammungsrecht verfassungswidrig ist und hat pünktlich zum Aktionstag mit anderen Akteur*innen die „Leitplanken für die Reform des Abstammungsrechts“ veröffentlicht.

Entschuldigen Sie bitte, Herr Buschmann, wir leben in 2023.