Caro Gugu, Initiatorin des Fotoprojekts dein Körper ist genug, sorgt mit Aktfotografie und persönlichen Geschichten für Sichtbarkeit und Empowerment vielfältiger Körper. Im Interview mit Vic Atanasov spricht sie über das Projekt, die Kraft von Körpern und Geschichten, Queerness und warum wir Body Positivity unbedingt brauchen.
Was ist das Projekt dein Körper ist genug?
dein Körper ist genug ist eine Bewegung, die Menschen Raum gibt, unabhängig von ihrer Körperform reale Körper in die Sichtbarkeit zu bringen. Das Ganze geschieht durch das Medium der Fotografie. Ein Aktfoto kann zum Nachdenken anregen, doch das reicht mir nicht aus – wir zeigen nicht nur den Körper an sich, sondern auch die Geschichte dahinter.
Warum brauchen wir das Projekt?
Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass gerade durch das Erzählen von Geschichten Schubladendenken aufgebrochen werden kann. In einer Welt, in der Medien und Medienkonsum eine immer größere Rolle spielen, sind wir von Fake, Filtern und Perfektion umgeben: Ein perfekter Körper soll möglichst schlank, jugendlich, faltenfrei, narbenfrei erscheinen – und genau das vermittelt uns das Gefühl, nicht genug zu sein.
Unsere Arbeit versteht sich als Gegenbewegung dazu und zeigt auf, dass traurigerweise fast jeder Mensch das Gefühl kennt, nicht genug zu sein – das Thema Ausgrenzung, Bodyshaming, Diskriminierung und Nicht-Genug-Sein sitzt tief in uns und wir tun viel im Unbewussten, um in Normen zu passen. Diese Gemeinsamkeit, die uns alle verbindet, möchte ich in den Fokus rücken – und darin die Stärke finden.
Was wir alle haben, ist ein Körper. Ich möchte zeigen, dass wir durch Transparenz, Verletzlichkeit und Empathie zueinander finden können – auch wenn wir hier und da unterschiedlicher Meinung sind. Die eigene Veränderung – das heißt, wenn du darüber reflektierst, wie du mit deinem Körper umgehst, wie du auf ihn blickst – trägt einen Heilungsprozess in sich, der sich dann aber auch auf andere überträgt.
Das Projekt existiert seit fünf Jahren. Hast du über die Zeit eine Veränderung im Diskurs in Berlin wahrgenommen?
Ich habe das Gefühl, dass Menschen das Thema Feminismus stärker aufgreifen, also inwiefern wir von patriarchalen Strukturen geprägt sind. Inwiefern ich selbst entscheiden will, wie ich meinen Körper zeige, trage, verändere – z.B. was Körperbehaarung angeht. In den letzten zwei Jahren ist mehr Appell in den Storys zu lesen.
Was bedeutet Körperliebe beziehungsweise Body Positivity?
Body Positivity ist in den Grundzügen eine Bewegung aus den 1960er Jahren in den USA, bei der viele, insbesondere cis-Frauen, auf die Straße gegangen sind, um klarzumachen, dass man selbst über seinen Körper bestimmen darf. Und da geht es sowohl um Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund der Körperform als auch um die medizinische Betreuung. In den USA war damals natürlich auch Rassismus ein großes Thema. In den späten 90ern bis 2000ern kam dann Social Media auf – und hat den Begriff verwässert, weil viele Marketingkampagnen damit gespielt haben. Ursprünglich sollte die Bewegung aber zeigen: Ich bestimme selbst über meinen Körper, und niemand sonst hat darüber zu bestimmen.
Body Positivity oder Körperliebe ist für viele ein zu starker Begriff. Für mich bedeutet Body Positivity grundsätzlich, eine positive Einstellung zum Körper zu haben. Denn ich kann Phasen haben, an denen ich mich nicht gut fühle – weil mich vielleicht jemand verletzt hat, weil ich Body Shaming erfahren habe, weil ich diskriminiert wurde – aber wenn die Grundeinstellung zu meinem Körper positiv ist, schaffe ich das. Und ich weiß, wovon ich rede, weil ich selbst Teil dieser Body-Shaming-Gesellschaft war. Ich habe über andere geurteilt. Ich habe viel diskriminiert – aber ich war auch total im Kampf mit mir selbst. Und ich weiß, dass es möglich ist, diesen positiven Blickwinkel zu entwickeln – und dass es dann auch möglich ist, das Positive in anderen zu sehen.
Wie trägt dein Körper ist genug dazu bei?
Durch die Körper und Geschichten, die ich als Person von außen konsumiere oder aufnehme, entwickelt sich automatisch bei den Allermeisten ein Gefühl von Okay, ich bin genug mit meiner Geschichte. Ich muss mich nicht dafür schämen, XY zu sein. Wenn ich diese ganzen Geschichten lese, kann sich auch eine Form von Dankbarkeit entwickeln für den Körper – was er alles leistet – und das ebnet den Weg zu Körperliebe.
Besonders in den Sozialen Medien gibt es derzeit viel Werbung für Abnehmspritzen, Schönheitsideale von Skinny Bodies werden gefördert – erfährt die Body-Positivity-Bewegung einen Backlash?
Also denke ich schon, dass es einen Backlash gibt. Aber ich muss ehrlicherweise sagen, die verwässerte Body-Positivity-Bewegung davor war auch nicht die Bewegung, die alle Menschen angesprochen hat: Wenn du Hashtag Body Positivity eingibst, kommen Bilder von meistens weiblich gelesenen, eher weißen Körpern, die vielleicht größer sind – that's it. Die einzige Kampagne, die man von früher kennt, ist diese Dove-Werbung – die spiegelt absolut keine Körpervielfalt wider, wie sie wirklich ist. Das zeigt für mich nicht Body Positivity, weil es alle Menschen betrifft und auch alle Menschen gezeigt werden sollten. Ich wünsche mir, dass es zur Normalität wird, Körpervielfalt und Realität sichtbar zu machen.
Du arbeitest mit dem Medium Fotografie – warum?
Als ich das erste Mal nackt vor der Kamera stand, war ich schockiert, weil ich gar nicht damit umgehen konnte, wie mein Körper auf dem Foto aussah. Ich habe damals ganz oft den Spiegel-Blick auf gewisse Körperteile gemieden, weil ich da nicht hingucken konnte, weil ich so im Krieg mit mir war. Durch die Fotografie habe ich mir die Bilder bewusst angeschaut: Wie sehen meine Schenkel, meine Arme und mein Gesicht in bestimmten Momenten aus? Das kann eine sehr heilsame Erfahrung sein.
Dabei spielt die Person hinter der Kamera eine sehr, sehr wichtige Rolle – wie sieht mich die Person hinter der Kamera? Für mich als Fotografin bedeutet das, mir Zeit für die andere Person zu nehmen, sodass die andere Person vielleicht gerade mit mir das allererste Mal erfährt, sich wirklich ohne jegliches Judgment zu zeigen. Deshalb sind die Menschen, mit denen ich kooperiere, alle sehr sensible Menschen, bei denen man sich fallen lassen kann. Es ist schön und empowernd, in einem Raum zu sein, in dem du nicht diskriminiert wirst und einfach sein darfst.
Können bei dem Projekt alle mitmachen?
Ja. Das Einzige, was ich voraussetze: Dass die Person ihre Körpergeschichte teilt und bereit ist, den Körper, mindestens in Unterwäsche, zu zeigen.
Welche Rolle spielt Queerness in deinem Projekt?
Mir ist die Sichtbarkeit für queere Menschen sehr wichtig. Ich bin stolz darauf, dass die Community bei dein Körper ist genug immer queerer wird und sich mehr queere Menschen zeigen. Es gibt ein Bedürfnis, queere Geschichten zu lesen – egal ob es ums Outing oder Transition geht. Letzteres hat viel mit dem Körper zu tun: Hat die Person zum Beispiel die Mastektomie oder eine Geschlechtseingleichende Operation gemacht? Genauso geht es z.B. auch um Bodyshaming innerhalb der Gay-Szene – wir sprechen über Schönheitsideale gesprochen und ich weiß, dass so gut wie niemand darüber spricht.
Zum Schluss: Welche Tipps hast du für mehr Körperliebe?
Ein kleiner Tipp, um langsam anzufangen, wenn du in dem Stadion bist, dich nicht so wohl mit deinem Spiegelbild zu fühlen: mit kleinen Körperpartien anfangen. Scanne deinen Körper von oben bis unten ab und überlege, welche Bereiche es in deinem Körper gibt, die noch ein bisschen pieksen, wenn du hinsiehst? Du kannst dabei in drei Schritten vorgehen: Welche Bereiche gibt es, auf die ich gerne hinschaue? Welche Bereiche gibt es, zu denen ich kein neutrales Gefühl habe? Und welche Bereiche gibt es, die ein bisschen pieksen? Das kann man jeden Tag trainieren – auch wenn es nur zwei Minuten sind – und vom Wegsehen ins Hinsehen kommen.
Ein weiterer Tipp ist Fotografieren. Man kann das auch selbst machen, wobei du dann schon aware dafür sein musst, wie du die Kamera hälst – denn wir sind gern dazu geneigt, uns eher in vorteilhafte Positionen zu stellen. Nutze die Kamera oder das Handy also wirklich, um den Körper aus verschiedenen Blickwinkeln anzuschauen und zu fotografieren. Oder suche dir eine*n Fotograf*in des Vertrauens.
Der dritte Körperliebetipp ist für mich, sich von Geschichten, wie bei dein Körper ist genug, mal leiten zu lassen. Vielleicht auch mal nur die Geschichten zu lesen und nicht zuerst auf den Körper zu blicken. Dadurch kannst du sehen, mit dem was du erlebt hast und fühlst, nicht alleine zu sein. Es ist schön, zu entdecken, dass es andere Menschen gibt, die sich nicht genug fühlen und zu schauen, was ihnen denn geholfen hat.
Der letzte Tipp: Gehe 10 Minuten in der Woche durch die Straßen, setz dich irgendwo hin und beobachte Körper und Aussehen von Menschen – nicht judgy, sondern neutral. Mir hat das geholfen, den Blick zu öffnen und zu sehen, wie bunt wir sind.
Vielen Dank, Caro!
Caro Gugu ist Fotografin, Aktivistin und die Stimme Initiatorin des Projekts dein körper ist genug. Sie nutzt ihre Kamera, um Geschichten zu erzählen, die unter die Haut gehen. Als studierte Personalerin und systemische Coachin bringt sie Tiefe in ihre Arbeit und schafft Räume, in denen Menschen sich selbst mit liebevollen Augen begegnen.
dein körper ist genug ist eine Body-Positivity-Bewegung, die gesellschaftliche Schönheitsideale aufbricht. Seit 2019 haben Caro Gugu und ein Netzwerk aus 15 Fotograf*innen über 300 Menschen porträtiert – unretuschiert und echt. Das Projekt schafft durch Ausstellungen, Talks und Medienpräsenz Sichtbarkeit für Körpervielfalt und kämpft gegen Diskriminierung wie Rassismus, Ableismus und Queerfeindlichkeit.
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