von Vic Atanasov und Carola Bock
Immer mehr Menschen leben queer – auch Louise Morel. Nach Jahren hetero Beziehungen entdeckt sie ihre lesbische Identität. In „Lesbisch werden in 10 Schritten“ (2025) will sie Frauen ermutigen, Gefühle für andere Frauen zuzulassen, heteronormative Muster zu hinterfragen und neue Wege zu gehen. Ein*e nicht-binäre Lesbe und eine cishetera lesen gemeinsam Morels Buch – findet sich Vic als lesbische Person in der Retrospektive wieder? Und wird Carola nach dem Buch zur Lesbe?
Carola: Ich lese als politisch interessierte Frau mit Hang zu Genderfragen und gelegentlicher Utopie-Fantasie. Ich bin neugierig, ob man sich aktiv für eine sexuelle Orientierung entscheiden kann. Ich glaube nicht, dass mir jemand mit zehn Schritten das Begehren umbaut, bin aber offen dafür, ein bisschen an meinen Kategorien zu rütteln.
Vic: Gemischte Gefühle. Ein Buch mit „Lesbisch“ im Titel spricht mich an – aber wenn nur von „Frauen“ die Rede ist, werde ich skeptisch. Als nicht-binäre Lesbe frage ich mich: Bin ich mitgemeint? Und: Wie soll man in zehn Schritten lesbisch werden? Klingt für mich erst einmal, als wäre es eine bewusste Entscheidung, eine gewählte Alternative zur Heterosexualität. Für mich war das keine Wahl, daher bin ich gespannt, was Morel hier liefert.
Vic: Ich war erleichtert, dass auch trans* und nicht-binäre Personen als Lesben von Morel anerkannt werden. Als nicht-binäre Person bezeichne ich mich als Lesbe – zum einen weil ich weiblich sozialisiert bin und Lesbisch sein für mich am treffendsten beschreibt, wie ich Sexualität lebe. Zum anderen, weil lesbische Identität mehr ist als Sexualität – sie ist auch meine politische Positionierung, mein Empowerment und der einzige denkbare Weg für meine antipatriarchale Utopie.
Carola: Ich fühlte mich ertappt – z.B. wo Morel beschreibt, wie viele Frauen denken: „Meiner ist ja nicht so schlimm.“ Genau das habe ich gedacht. Klar, mein männlicher cishetero Mann bringt mich nicht um. Und nein, das ist keine ironische Übertreibung. In einer Welt, in der Männer Frauen töten, reicht es offenbar, „nicht so schlimm“ zu sein, um als guter Mann zu gelten. Morel provoziert klug und schmerzhaft ehrlich – das mochte ich.
Carola: Heterosexualität ist eine politische Ordnung und Begehren nicht einfach ein innerer Magnet – es ist geformt, genährt, gesteuert. Morel sagt nicht: „Werd lesbisch!“, sondern: „Frag dich, warum du hetero bist – und ob du das so lassen willst.“ Das ist unbequem – aber politisch wichtig.
Vic: Und: Man muss keine Lesbe sein, um einer lesbischen Utopien näher zu kommen. Freund*innenschaften und andere Beziehungsformen zu priorisieren, kann uns aus dem Patriarchat führen – das können auch cishetera Frauen.
Carola: Ja. Weniger Identität, mehr Möglichkeit. Ich habe verstanden, dass lesbisch sein auch heißt, nicht ständig um Anerkennung bitten zu müssen, nicht immer Beziehungsarbeit mit emotional abwesenden Männern zu leisten, nicht permanent gegen einen strukturellen Gegenwind zu lieben. Und ich habe verstanden, dass „lesbisch sein“ nicht zwingend etwas mit einem Schlüsselerlebnis zu tun haben muss – sondern auch mit einer Entscheidung: für ein anderes Leben.
Vic: Absolut nein! Für mich hat sich nichts verändert – ich bin, bleibe und liebe als Lesbe.
Carola: Begehren ist politisch. Es lohnt, genau hinzuschauen – auch wenn man denkt, man sei längst „fertig“ mit dem Thema Sexualität.
Vic: Kein neuer Gedanke, aber immer wieder gut, zu lesen: Es gibt unendlich viele Wege, lesbisch zu werden – und keine „richtige“ Art, lesbisch zu sein.
Carola: Ja – für alle, die denken: „Das kann’s doch nicht gewesen sein“, die glauben, ihre Sexualität sei „halt so“ und die sich auf queeren Partys fehl am Platz fühlen oder einfach nur zu spät dran sind.
Vic: Jain. Gut für unsensibilisierte cisheten mit Aufklärungsbedarf oder für frische Lesben auf der Suche nach ein paar Ratschlägen. Vielleicht ist es auch interessant für Lesben, die sich daran erinnern wollen, wie cistheten so ticken. Weniger geeignet für Menschen, die sich gerade auf dem Weg zur Lesbe befinden und Empowerment brauchen.
Carola: „Ich fordere das Recht, aus dem Heteropatriarchat auszusteigen – und ich nehme es mir.“
Vic: „Für mich ist weibliche Solidarität die Entscheidung, die eigenen Ressourcen und Kapazitäten vorwiegend Frauen und FLINTA-Personen zu widmen“ (wenn „weiblich“ mit „feministisch“ ersetzt wird)
Am Ende ist Carola (leider) nicht lesbisch geworden. Aber ihr Denken darüber, was sie Begehren nennt, hat einen Twist genommen und Fragen ploppen auf: Wie viel ihrer Lust auf Männer kommt tatsächlich aus ihr selbst – wie viel ist eher Gewohnheit, Skript, Komfortzone? Und Vic? Ist immer noch lesbisch – und wie Morel verdammt glücklich damit.
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