Kommentar von Vic Atanasov
„Nee, ich date nicht, nee, auch nicht single… ich lebe freundschaftszentriert.“ – würde ich gern darauf antworten, wie es so im Datingleben laufe. Wie erkläre ich das in einer Welt, die starre Kategorien liebt und von normabweichendem Leben irritiert ist? Es wird klar getrennt: Hier „nur“ die Freund*innenschaft – irgendwann nach der Jugend plötzlich eher unaufgeregt und ohne Verantwortlichkeiten. Da die Liebe – gern hetero, monogam, inklusive Sex und Romantik. Wer beides miteinander mischt und auch noch beansprucht, freundschaftszentriert zu leben – also Freund*innenschaften prioritär zu leben – gilt als unverständlich, defizitär, einsam, noch nicht angekommen.
Wer keinen Zugang zur Community hat, für den kann es durchaus einsam werden: Vermeintliche Freund*innen und Nahpersonen entscheiden sich am Ende doch für ein*e Partner*innen und sind weg vom Fenster. Schmerz und Trauer über den Verlust von Freund*innenschaft ist kaum der Rede wert, selbstverständlich darf man keine Ansprüche stellen: wie etwa an der Beziehung zu arbeiten, Konflikte aufzuarbeiten oder eine gemeinsame Therapie zu starten.
Wer nicht den Weg zur Ehe findet und nur in Freund*innenschaften lebt, ist materielle benachteiligt: hohe Steuersätze und -abgaben für alles Mögliche, keine gemeinsame Wohnung bei Genossenschaften oder erzwungene WG-Situationen, keine Aufenhaltsrechte für Freund*innen, keine Auskunft, wenn die Nahperson im Krankenhaus liegt (ja, du brauchst eine schriftliche Vollmacht), keine gemeinsame Krankenversicherung, von „Witwen“-Renten mal ganz abgesehen. Die Liste geht endlos weiter.
Wer sich mit Asexualität beschäftigt, versteht, wie absurd die künstliche Trennung von Freund*innenschaft und Liebesbeziehung wird. Intimität muss nicht zwangsläufig sexuell codiert sein. Romantik war nicht immer in der Ehe verortet, in der Vormoderne wurde sie eher aus dem Haushalt (ergo Ehe) herausgehalten. Romantik war eher was für Freund*innenschaften. Nähe, Fürsorge und Verantwortung existieren auch ohne Sex. Trotzdem hält sich die Vorstellung hartnäckig, dass nur das romantische Paar glücklich machen kann.
Man könnte es Amatonormativität nennen, ein Begriff von Elizabeth Brake in Minimizing Marriage (2011): die Norm, dass romantische Paarbeziehungen – idealerweise monogam, cis-hetero und lebenslang – als zentraler Lebensinhalt gelten und allen anderen Beziehungsformen überlegen sind. Oder man nennt es beim Namen: eine kulturelle Überzeugung, genährt durch Hollywood, Netflix, Dating-Apps. Sogar wissenschaftliche Diskurse tun so, als wäre Freund*innenschaft lediglich die Vorstufe zum „Eigentlichen“. Dabei wissen wir alle: Freund*innenschaften sind oft langlebigere, verlässlichere Beziehungen.
Wie wäre es, wenn ich mich nicht mehr rechtfertigen und erklären müsste, wer und was meine Nahperson ist, dass sie nicht wertloser als sogenannte Partner*innen ist, und Beziehungskonzepte sowieso sozial konstruiert sind? Drehen wir es um: Wie rechtfertigt ihr denn eure Paarbeziehungen und zeigt euch solidarisch mit denjenigen, die eure Privilegien nicht teilen – institutioneller Schutz, gesellschaftliche Rituale, kulturelle Sichtbarkeit, etc.?
Wer genauer hinschaut, erkennt, dass soviel queeres Potential in Freund*innenschaften liegt: Beziehungen, die nicht auf Exklusivität und Besitz bauen, sondern auf Verbindlichkeit ohne festgelegte Skripte. Es mag paradox klingen, doch vielleicht gilt heute: Das radikalste Liebesbekenntnis ist die Freund*innenschaft.
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