Ich kann mich noch ziemlich genau erinnern, wie ich mit knackigen 30 Jahren auf Partys stand und diese ausgesprochen attraktiven Frauen über 40 im Blick hatte – und dachte: Wow. Graue Haare können ziemlich cool aussehen. Und diese ersten Falten, die sich damals in ihre – aus heutiger Sicht fast absurd zarten – Gesichter gruben, hatten etwas von Charakterstärke. Und ja, auch von Erotik.
Das mit den grauen Haaren habe ich dann ziemlich zügig selbst erledigt. Die Falten kamen hinterher, wie das halt so ist, wenn man lacht, weint, küsst, pfeift, schmeckt – kurz: lebt.
Altern war für mich immer etwas, das man mit Würde und Anstand zulässt. Selbst als die ersten Hitzewallungen mein Nachtleben erschütterten. Schwitzen konnte ich nun auch ganz prima ohne hemmungslos zu tanzen.
Einige Jahre später – auf meiner Uhr stand mittlerweile „kurz nach Mitte Fünfzig“ – packte mich dann doch mal wieder die Feierlaune. Ja, das soll auch vorkommen. Das Perfide daran: In dem Moment selbst merkt man nicht, wie alt man ist.
Bis man sich etwa eine Stunde später in einer denkwürdigen Szene wiederfindet: Ich betrat gerade den Flur einer Berliner Szenediskothek, als mir die junge Geschäftsführerin begeistert entgegenkam, mich umarmte (so weit, so angenehm) und mir strahlend ins Ohr brüllte: „So toll, dass du in deinem Alter auch noch feiern gehst!“
Hätte ich an dieser Stelle geschmeichelt sein können? Ich weiß es bis heute nicht. Seitdem frage ich mich, ob ich vielleicht zu alt bin. Für Partys. Für Jeans. Für Tanzkurse. Vielleicht ist jetzt das Alter, in dem man sich aufs Sofa zurückzieht. Loslässt. Auch den Wunsch nach der Tanzpartnerin fürs nächste Wochenende.
Und wenn dann auch noch deine behandelnden Ärzt*innen, Verkäufer*innen, Busschaffner*innen plötzlich halb so alt sind wie du – oder noch jünger – dann fragt man sich doch irgendwann: Wann genau ist das eigentlich passiert? Wer hat beschlossen, dass ich jetzt zu den Alten gehöre?
Ich war mal die, die reifere Frauen bewundert hat – wegen ihrer Gelassenheit, ihres Selbstbewusstseins. Jetzt soll ich plötzlich selbst die Reife sein? Die erfahrene Frau, die mit Würde ihre Konfektionsgröße feiert?
Ganz ehrlich: Wer kann mir bitte sagen, wie das geht?
Stattdessen streite ich mich mit meinem Bauch, meinem Winkemuskel, meinem Stoffwechsel. Übe Disziplin, trage meine Sportschuhe spazieren, buche Präventionskurse – und erschrecke, weil der Gedanke an eine Schönheits-OP plötzlich gar nicht mehr so abwegig wirkt.
Moralischer, feministischer Kollateralschaden? Vielleicht. Verkraftbar? Eventuell. „Alt werden“, hat meine Mutter gesagt, „ist nichts für Feiglinge.“ Und recht hatte sie. Denn so stolz man auch die letzte Menstruation zelebrieren wollte – spätestens bei erhöhtem Cholesterin und der Frage, wo zum Teufel eigentlich das Bindegewebe abgeblieben ist, wird es… sagen wir mal: pragmatisch.
Natürlich können wir schreiben, reden, wünschen, glauben, cremen… Positive Energie ins Universum schicken. Aber das Alter ist eben nicht nur ein äußerer Prozess. Es ist das Abschiednehmen von Versionen, die wir einmal von uns hatten. Von Idealen, die wir mühsam herangezüchtet oder gegen alle Widerstände verteidigt haben.
Das Alter ist die tägliche Neuentdeckung des Gesichts. Und wenn das Außen nicht mehr mitspielt, bleibt nur das Innen. Und die Frage: Kann ich damit Frieden machen?
Jung bleiben – so viel ist mir heute klar – ist keine Option. Würdevoll alt werden klingt gut, aber spätestens wenn dir nach 35 Jahren Community-Arbeit dein Rentenbescheid geliefert wird, wird klar: Die Würde hat es auch nicht leicht.
Mit Ende 50 ist eben nicht mehr alles möglich – und gerade darum vielleicht endlich alles. Denn jenseits von gesellschaftlichen Idealen und neoliberaler Selbstverwertung beginnt die Freiheit. Die echte. Die, in der wir nicht mehr gefallen müssen, nicht mehr mitspielen müssen. Sondern einfach da sind. Neugierig, wild, widersprüchlich, lebendig.
Ich will noch was. Ein bisschen tanzen, ein bisschen die Welt verändern. Die Nächte zurückholen, in denen wir noch dachten, alles sei möglich. Uns endlich befreien von diesen alten Glaubenssätzen, die uns auch nach all den feministischen Lesezirkeln noch im Kopf hämmern. Und auf diesen Moment hoffen, in dem endlich alles scheißegal ist –weil man 80 ist und sich über die Narrenfreiheit freut: Männer hätten vielleicht längst aufgehört, uns attraktiv finden zu wollen – und würden dann endlich damit anfangen, uns zuzuhören. Und wir könnten die Blicke der jungen Frauen genießen –von denen wir uns zumindest einbilden dürfen, dass sie bewundernd sind.
Und ja: Auch wir wollen noch was. Wir wollen Bühne, Sichtbarkeit, Anerkennung – und das laut. Nicht nur wegen der beginnenden Altersschwerhörigkeit.
Und manchmal träume ich davon, dass eine dieser großartigen queeren Reden, die ich so oft gehört habe – bei CSDs, Queer-Empfängen, Queer- oder Lesbenpreisen –empowernd, tief, politisch – endlich mal vor einem Publikum gehalten wird, das es tatsächlich angeht.
Ich habe in meinem Leben Vielfalt, Akzeptanz und Sichtbarkeit gelebt und weiß nach all den Jahren, wie es geht. Dennoch befinde ich mich jetzt wieder in den Achtziger… nicht Jahren, sondern Vibes. Es reden wieder vor allem cis-Männer. Wir kämpfen wieder um Abtreibung, um Sichtbarkeit, um Rechte, die längst erreicht schienen. Und ich stehe da, 30 Jahre älter, müde – und immer noch nicht fertig mit der Welt.
Die Alte will noch was. Und das ist gut so.
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