Es gibt Momente in der (Film-)Geschichte, die nur verständlich werden, wenn sich dem Schweigen darum herum klargemacht wird. Anfang der 1980er Jahre wurden in den USA (und weltweit) plötzlich junge schwule Männer mit unerklärlichen Symptomen in Krankenhäuser eingeliefert – Namen für die Krankheit, die später als HIV/AIDS bekannt wurde, fanden sich schnell: „Gay Cancer“, „Gay Plague“, „GRID“. Von politischer Seite war die Reaktion weitestgehend ein Achselzucken. Rechte Stimmen sprachen von „natürlicher Auslese“ oder „Gottes Urteil“. Ein Großteil der Gesellschaft wusste nicht so richtig, was passiert. Und Hollywood? Schaute, wie so oft, wenn es um brisante Themen geht, weg.
Erste Indie-Produktionen
Die ersten aufrichtigen filmischen Auseinandersetzungen mit der Erkrankung, die gefühlt eine ganze Generation an queeren Männern auslöschte, stammen aus kleinen, leicht schrabbelingen Indie-Produktionen: Schwule Regisseure, wenig Budget, und ein Gefühl, dass dringend etwas erzählt werden muss, bevor es zu spät ist.
Eine der allerersten Produktionen aus dieser Zeit ist Buddies (1985) von Arthur J. Bressan jr. Zwei Männer, einer HIV-positiv, ein Krankenhauszimmer, kaum Geld, kaum Zeit. In diesen Jahren, in der viele schwule Männer, die an HIV/AIDS erkrankten, von ihren Familien verstoßen wurden, entstand ein Buddies-System, in dem Ehrenamtliche – auch oft queere Frauen* – am Krankenhausbett einer erkrankten Person Gesellschaft und Sterbebegleitung leisteten. In Bressan jr.’s ruhigem und unaufgeregten Film steckt mehr Queerness, Trauer und Humor, als Hollywood es damals und vermutlich heute jemals zugelassen hätte. Der Film wirkt wie ein Tagebucheintrag einer Community, die sich selbst festhält und upliftet, weil niemand anderes es tut.
Bill Sherwoods Parting Glances (1986) geht einen anderen Weg: New York, Freundeskreis, Alltag. Die Angst vor der Erkrankung spüren alle, und doch geht ihr Leben weiter: Gespräche, Partys, kleine Konflikte untereinander. So banal das Leben sein kann, aber eben mit der AIDS-Krise im Raum.
Der erste größere Film, der sich an die Epidemie herantraute, ist Longtime Companion (1989) von Norman René, der eine Freundesgruppe über fast ein Jahrzehnt begleitet, vom ersten Zeitungsartikel bis zum Punkt, an dem Solidarität mehr ist als nur ein politisches Wort. Der Filmtitel – damals ein Codewort in Nachrufen für den verbliebenen Partner– sagt eigentlich alles über die Unsichtbarkeit und Anonymität in dieser Zeit.
Einzug in Hollywood
Im Mainstream-Kino wurde die AIDS-Krise zunächst ignoriert oder für Witze und Inszenierungen tragischer Schwulen-Trope benutzt. In Down and Out Beverly Hills (1986) von Paul Mazursky ist eine Ehefrau besorgt, dass ihr Mann sich mit AIDS infiziert, weil er einen anderen Mund-zu-Mund-beatmete. In Woody Allens Hannah and Her Sisters (1986) beginnt ein Zahnhygieniker aus Angst vor AIDS bei schwulen Patienten Handschuhe zu tragen. Die Darstellung von AIDS erfolgt hier komödiantisch überzeichnet, aber eben auch gefährlich naiv, unempathisch und stigmatisierend. Die Distanz zwischen dem, was wirklich geschah, und dem, was auf Leinwänden ankam, war groß.
Philadelphia
1993 kam dann Philadelphia von Jonathan Demme. Für viele war es der erste Film, der überhaupt eine Figur mit AIDS ernst nahm. Demme inszenierte einen HIV-Betroffenen so, wie Hollywood glaubte, jemanden zeigen zu müssen, damit das Publikum nicht wegläuft: höflich, sympathisch, makellos funktional – und natürlich von Hollywoods vermutlich ‚least threatening‘ Leading Man gespielt: Tom Hanks. Sein Partner bleibt eher Andeutung als Figur. Zärtlichkeit wird vorsichtig dosiert und wirkt scheu. Man spürt förmlich, dass jeder Moment körperlicher Nähe im Schneideraum abgewogen wurde: „Ist das jetzt zu viel?“
Und trotzdem: Der Film hat etwas verändert. Millionen sahen zum ersten Mal einen schwulen Mann mit AIDS, der nicht als Witz, Gefahr oder tragische Randnotiz existiert. Sein Anwalt reagiert zunächst homophob, taut dann langsam auf und fungiert als Stellvertreter jener Zuschauenden, die sich selbst im Spiegel nicht eingestehen wollten, wie wenig sie über das Thema wussten und wie viel sie Menschen mit AIDS diskriminierten.
Heute wirkt Philadelphia fast zahm. Ein Film, der mehr für die Mehrheit gemacht wurde, als für die Betroffenen. Aber er öffnete Türen – und manchmal ist das schon viel.
Was bleibt?
Die wirklich wichtigen Geschichten dieser Zeit liegen bei den frühen Indie-Werken, in denen Menschen erzählten, weil sie mussten, nicht weil ein Studio einen Slot frei hatte. Diese Filme zeigen nicht nur Krankheitsverläufe, sondern queere Nähe, Wut, Humor und Alltag. Sie erzählen von einer Community, die lernte, füreinander da zu sein, während der Rest der Welt Selbstgespräche über Moral und „Gefahr“ führte.
Sie erinnern daran, wie überlebenswichtig Sichtbarkeit sein kann. Und dass sie oft zuerst dort entsteht, wo niemand hinschaut, außer denen, die betroffen sind. So starben Arthur J. Bressan jr. (Buddies), Bill Sherwood (Parting Glances) und Norman René (Longtime Companion) nur wenige Jahre nach Veröffentlichungen ihrer Filme an AIDS-Komplikationen. Am Ende bleiben ihre Filme als queeres Wissensarchiv – zu ehrlich, um ignoriert zu werden und zu lebendig, um je zu verschwinden.
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