Kunst und Kultur für Neugierige
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© Bild: Andrea Wöger

Wie mein Körper zu meinem Körper wurde

Mein Körper gehörte lange Zeit nicht mir. Das bekam ich von allen Seiten unentwegt vermittelt. Er gehörte allen anderen. 

Das waren die Mädchen im Kindergarten, die mich auslachten, weil ich keine Prinzessin war. Das waren später Jungs in der Schule, denen meine Haare zu kurz und meine Brüste zu klein waren. Es waren misogyne Medien, die berühmte junge Frauen wie Britney Spears in den 90ern und 00ern – in meiner Kindheit und Jugend – ausnahmslos auf die sexistische Schlachtbank zerrten. Es war mein Vater, der mich nicht in femininer Kleidung sehen wollte, und meine Mutter, die nicht Frau über sich selbst war. 

Mein Körper war als Kind, Teenagerin und junge Erwachsene viel zu oft Projektionsfläche für andere. Ein Ausstellungsstück, das zum Kommentieren und Bewerten einlud, ein Objekt der Begierde oder, noch schlimmer, ein Wettbewerbsteilnehmer unter allen weiblich gelesenen Körpern.

Wer bin ich – und wenn ja, wie habe ich auszusehen

Als genderfluides Kind, das sich zu Jungs wie Mädchen hingezogen gefühlt hat und auch im Kleidungsstil allen möglichen Richtungen nacheiferte, konnte ich es in den 90ern auf dem österreichischen Dorf sowieso niemandem recht machen. Wenn meine Eltern und eigentlich die gesamte Gesellschaft bewusst oder unbewusst der Meinung waren, junge Frauen*körper gehören der (cis-männlichen) Allgemeinheit – wie sollte ich dann auf eine andere Idee kommen?

Wo fängt man dann nur an, sich in der eigenen Haut wohlzufühlen? Sich davon loszulösen, unerreichbaren Erwartungen und ungefragten Meinungen gerecht werden zu wollen? Vermutlich muss man diese verräterischen Ideale erstmal erkennen. Bei mir ging das Mitte 20 los, als ich nach Berlin zog, um in der deutschen Hauptstadt zu arbeiten. 

Eine Lektion im Besiegen der Erwartungen

Ich hatte plötzlich viele queere Freund*innen, viele Leute in meinem Umfeld, die sich Gedanken über Sexismus und Rassismus machten, die Normen hinterfragten und mir klarmachten, wie auch in mir Anschauungen und Vorurteile verankert waren. Ich musste mich selbst mal am Schlafittchen packen und einige indoktrinierte Bosheiten entlassen.

Ende 20, nach vielen Gesprächen, nach der überfälligen, öffentlichen Ermächtigung, die #MeToo ermöglichte, und nach viel liebevoller Wertschätzung meines ebenfalls queeren Partners für mich und meinen Körper, machte es plötzlich Klick. Es ging nicht mehr nur ums Aussehen. Es drängte sich eine neue Frage auf, die mich weder meine Eltern, noch die Schule oder die Medien gelehrt hatten, gespeist von neu gewonnenem Selbstbewusstsein und dem Blick nach innen: Wie soll sich mein Körper anfühlen? Und ich begann mich zu fragen, ob es nicht an der Zeit war, sich wohlfühlen zu dürfen.

Was will ich eigentlich?

Auf diesem Weg der Selbsterkenntnis wurde ich schwanger und das war für meine Reise ein rasanter Katalysator. Prioritäten und Hormone sind in der Schwangerschaft neu gewürfelt. Alles fühlt sich anders an. Alles ist plötzlich körperlich – nicht in einem sexuellen Sinne – und das war für mich eine völlig neue Erfahrung. Ich fühlte mich nur noch zur Hälfte Mensch, zur anderen Hälfte Tier. Ich sympathisierte mehr mit einer schwangeren Kuh als mit einer nicht schwangeren Person. Und ich liebte es. Es war vermutlich das Befreiendste, das ich jemals erlebt habe. Plötzlich interessierten sich auch alle anderen dafür, dass ich mich wohlfühle.

21 Monate Schwangerschaft plus Stillzeit gaben mir viel Zeit, das neue Körpergefühl zu festigen. Ich wurde vom Objekt zur Ernährerin. Jetzt brannte es mir unter den Fingernägeln, was ich noch alles sein konnte. Und wollte. Es ließ mich nicht mehr los: Was will ich denn eigentlich?

Mein Traumkörper ist einer, für den gut gesorgt wird

Wie kann ich gut für meinen Körper sorgen? Wie fühlt er sich wohl? Was braucht er – ich – um glücklich zu sein? Laut singen, fest umarmen, stundenlang tanzen, begehrt- und berührtwerden, Teig kneten, Kind hochheben, Sonnenstrahlen spüren. Nach meinen Bedürfnissen handeln. Manchmal wache ich auf und fühle mich kantig und lässig, dann trage ich zugeknöpfte, schwarze Hemden. Manchmal wache ich auf und fühle mich sanft und leicht, dann hole ich das leicht durchlässige Sommerkleid aus dem Schrank. Mein Körpergefühl sagt mir Bescheid.

Heute, mit Mitte 30, und einem Kind, das oft auf mir hängt, als wären wir Koalabären, weiß ich: Mein Traumkörper ist einer, dem es gut geht. Er ist stark. Und sein Aussehen ist ein bisschen egaler geworden. Weil es mein Körper ist. Mit dem ich schon so viel geschaffen habe und so viel mehr machen werde. Es ist ein Geben und Nehmen. Ich versuche, auf ihn – auf mich – zu hören, wie auf alle anderen, die mir lieb und teuer sind.

 

Andrea Wöger kommt aus einem beschaulichen Städtchen in Österreich. Sie lebt und arbeitet seit 12 Jahren in ihrer Wahlheimat Berlin und beschäftigt sich als Redakteurin wie Popkultur-Nerd bevorzugt mit Science Fiction und (fehlender) Vielfalt in Filmen und Serien.