In meiner Jugend in den 2000er Jahren gab es nur eine anerkannte Beziehungsform: monogame Ehe – alles andere waren schräge Leute. Zwei Dekaden später stehen mir eine ganze Reihe an weit verbreiteten Ideen zur Verfügung, was in der Liebe alles (aus)gelebt werden kann. Aber da muss noch mehr gehen. Denn der Diskurs wird weiterhin von Schubladendenken beherrscht – und zieht Vorurteile und Stigmata mit sich, die uns allen schaden.
Während sich bei der Monogamie bekanntlich zwei Menschen sexuelle und romantische Treue schwören, hat sich die Nicht-Monogamie von diesem derzeitigen Standard emanzipiert. Es gibt Paare, die in den unterschiedlichsten Arrangements gegenüber anderen intimen Kontakten offen sind, also eine Offene Beziehung führen. Es gibt ebenso polyamore Beziehungen, bei denen mehrere Partner*inschaften parallel gepflegt werden können. Manchmal auch als Gemeinschaft – als Polycule. Natürlich muss bei alledem immer beidseitiger Konsens bestehen, weshalb sich die Selbstbezeichnung Konsensuelle oder Ethische Nicht-Monogamie als Abgrenzung zur Monogamie durchgesetzt hat.
Wer der gesellschaftlichen Norm trotzt, sieht sich bekanntlich Stigmata und Phobien ausgesetzt. Nicht-monogame Partner*inschaften sind Anfeindungen wie vor- und Verurteilungen ausgesetzt. Es sei egoistisch, unglaubwürdig, instabil und eine Ausrede zum Fremdgehen. Es gibt Dutzende Erfahrungsberichte von „Freiwilligen“ in renommierten Magazinen, die Nicht-Monogamie mal „getestet“ hätten und jetzt Bescheid wüssten, was daran nicht funktioniert. Wer die Datingprofile bei Bumble und Konsorten durchstöbert, stolpert häufig über Profiltexte, die Offene Beziehungen niedermachen und etwas „”Echtes“” und „keine Spielereien“ suchen. Es sind völlig unnötige Herabwürdigungen einer ganzen Gruppe an Menschen, von denen viele hart für ihre Bedürfnisse kämpfen und einstehen. Dass die Vielfalt an Beziehungsformen und individuellen Arrangements mit Scham und Vorsicht aus einer Schublade heraus genossen werden soll, ist ein trauriges Bild der Lage.
Nicht-Monogamie als Übeltäter*in?
Dadurch entsteht enormer Druck auf nicht-monogam lebende Menschen. Beim Scheitern einer Offenen Beziehung wird nämlich gerne die Nicht-Monogamie als Übeltäter*in entlarvt, doch diese vermeintliche Demaskierung kann nur nach hinten losgehen. Der Umkehrschluss wäre doch, dass jede monogame Beziehung, die in die Brüche geht (und das betrifft einen Großteil aller Menschen) auch an der Beziehungsform – der Monogamie – scheiterte.
Befeuert wird der Kampf Monogamie vs. Nicht-Monogamie von einer sehr polarisierend geführten Diskussion online und offline, die sich auf der Suche nach einem “richtigen” Beziehungsmodell selbst ein Bein stellt. In unseren größten deutschen Zeitungen und Zeitschriften wie dem Spiegel oder der Süddeutschen lese ich einseitige Headlines wie: „Monogamie sei nicht mehr zeitgemäß“, und „Warum Offene Beziehungen scheitern“. Es ist diese Entweder-Oder-Mentalität, die unterschlägt, wie vielfältig wir sind.
Das Spektrum an Beziehungen
Besonders interessant ist hier die bisher erste Metastudie zum Thema, erst wenige Monate alt, die sich auf über 24.000 Befragte aus 35 Forschungsarbeiten stützt. Diese Studie, Countering the Monogamy-Superiority Myth im Journal of Sex Research, kommt zu dem Ergebnis, dass die „Überlegenheit der Monogamie“ angezweifelt werden muss. Es gäbe nämlich keine Beweise, dass irgendeine Beziehungsform glücklicher mache als die anderen. Das heißt auch: Nicht die Monogamie an sich ist das Problem, sondern die Herabwürdigung ihrer Alternativen.
Ich sehe es so: Wenn Menschen und ihre Bedürfnisse zusammenkommen, ergeben sich daraus die unterschiedlichsten Beziehungen und jede*r tut gut daran, die eigenen Grenzen und Bedürfnisse auszuformulieren – egal, was dabei herauskommt. Das ist gar nicht so einfach, kann aber die schönsten Beziehungsblüten sprießen lassen. Es gibt monogame Paare, die sich “Gutscheine” schenken, einmal mit jemand anderem zu schlafen, oder Swingen gehen auf Sex-positiven Partys. Es gibt nicht-monogame Paare, die niemals Sex mit jemand anderem haben, aber einfach gerne auf Dates gehen, flirten und sich frei fühlen möchten. Und es gibt asexuelle und aromantische Paare, die überhaupt keine sexuellen oder romantischen Begegnungen haben.
Es braucht ein Spektrum, auf dem alles angesiedelt ist, was Paaren gut tun kann. Was wir abschaffen müssen, ist der tiefe Graben in der Mitte namens „Sex mit anderen“, der Monogamie und Nichtmonogamie in zwei verschiedene Schubladen steckt. Heute weiß ich: Schräge Leute findet man überall, aber glückliche auch.
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