Manchmal fühle ich mich wie ein Überraschungsei: außen unauffällig, im Kern ein Organismus, der selbst mit Bedienungsanleitung kaum zu verstehen ist. Chronisch krank zu sein bedeutet, gleichzeitig sichtbar und unsichtbar zu sein – und in einer ableistischen Welt erstaunlich oft nicht krank genug, um ernst genommen zu werden.
Willkommen im Club der Unsichtbaren.
Wer chronisch krank und weiblich ist, gerät erstaunlich schnell in ein Regal zwischen „Hysterie“, „Übertreibung“ und „Wahrscheinlich psychosomatisch“. Da sortieren manche uns ein, ohne jemals die Gebrauchsanweisung unseres Körpers gelesen zu haben. Die dazugehörigen Standardsätze sind eine verlässliche Playlist medizinischer Gleichgültigkeit: „Bestimmt die Hormone“, „Ein bisschen Yoga“, „Mehr rausgehen“, „Das ist bestimmt der Stress.“
Dahinter steckt weniger medizinische Expertise als ein tief verwurzeltes Geschlechterklischee in Weiß – ein medizinisches Vakuum, in dem weibliche Körper grundsätzlich als kompliziert gelten und Beschwerden reflexhaft Richtung Psyche verschoben werden. Und irgendwo zwischen „Haben sie schon mal eine Therapie gemacht?“ und „Sie sehen aber gar nicht krank aus“ liegt die seltsam glitschige Grenze zwischen chronischer Krankheit und Be-Hinderung. Eine Grenze, die man ständig erklärt, aber selten jemand begreift.
Alltag einer chronisch Kranken
Nach zwei Wirbelbrüchen weiß ich, welche Privilegien laufen, Stehen und allein zur Toilette gehen wirklich sind. Mein Medikamentenschrank liest sich wie die Chronik eines Körpers, der generell erstmal Nein sagt.
Aufgrund meiner Erkrankung kann ich nur eine Handvoll Lebensmittel essen, an manchen Tagen kaum stehen. Spaziergänge werden zu Hürdenläufen, Urlaube zu Expeditionsreisen. „Mal schnell einkaufen“ gibt’s nicht. Stattdessen lagere ich Lebensmittel im Auto, trage sie in kleinen Portionen in meine Wohnung – im Sommer ein Sport, der spätestens dann kritisch wird, wenn der Käse anfängt Intelligenz zu entwickeln.
Das Leben mit unsichtbarer Erkrankung fühlt sich manchmal an wie eine offene Dauercasting-Show: Man muss beweisen, dass man wirklich krank oder wirklich behindert ist. Nicht so ein bisschen. Nicht „schlecht geschlafen“-krank. Sondern echt, messbar, zertifiziert. Eine professionelle Patientin, wenn man so will.
Nicht nur im medizinischen Kontext, sondern auch privat. Von außen sieht man davon: nichts. Vielleicht Müdigkeit. Vielleicht ein gequältes Lächeln. Vielleicht die dritte abgesagte Verabredung.
Für manche blieb es schwer greifbar. Also erklärte ich. Täglich. Und führt Beweisstücke vor wie in einer Mischung aus Vortrag, Selbstverteidigung und Improvisationstheater. Im Privatleben hört sich das immer wieder so an:
„Aber gestern ging’s dir doch gut?“Ja. Gestern war gestern. Mein Körper orientiert sich eher an Wetterumschwüngen und spontanen Eingebungen.
„Vielleicht hast du doch zu viel Arbeit?“Liebe gemeint aber schrieben und denken ist das Einzige, was ich immer kann.
„Komm schon, Bewegung ist doch immer gut.“Gern. Ich sag’s meinem Kreislauf. Vielleicht meldet er sich freiwillig zurück aus der Sommerpause.
Misogynie bei kranken Frauen*
Frauen haben jahrhundertelang gelernt, Schmerzen zu verbergen, um niemanden zu belasten. Unsichtbare Krankheit macht daraus fast ein olympisches Team-Event: lächeln, funktionieren, entschuldigen. Und immer schön verständlich bleiben. Medizinisch gilt der männliche Körper als Standard, der weibliche als „kompliziert“. Alles, was nicht ins Schema passt, wird großzügig als psychosomatisch abgelegt.
Chronisch krank zu sein, fühlt sich an wie eine Batterie, die nur bis 60 Prozent lädt und dann spontan auf 8 Prozent fällt – ohne Warnung. Trotzdem erwartet die Welt, dass wir wie nagelneue Hochleistungsmodelle funktionieren. Dabei sind wir eher analoge Maschinen mit Herz: unzuverlässig, aber tapfer.
Feministische Ninja-Kompetenz
Und trotzdem besteht unser Leben nicht nur aus Einschränkungen. Viele von uns entwickeln eine Art feministische Ninja-Kompetenz: Wir wissen genau, was uns umhaut, was uns rettet, welcher Snack ungefährlich ist. Das ist kein Versagen. Das ist Expertise. Wir werden Meisterinnen des Nein-Sagens – was im Patriarchat ohnehin als radikale Tat durchgeht.
Humor wird zur Geheimwaffe. Nicht, weil er gesund macht. Sondern weil er trägt. Wir schwimmen durchs Leben mit Glitzerbadekappe und einem Schild: „Ja, ich bin krank. Nein, ich erkläre das nicht nochmal.“
Unsichtbar krank sein heißt nicht unsichtbar sein. Es heißt, in einem Körper zu leben, der Grenzen hat – und zu lernen, dass Grenzen politisch sind. Weiblich. Echt. Wer sie infrage stellt, zeigt vor allem: dass er nichts verstanden hat.
Ich wünsche mir eine Welt, in der man nicht mehr beweisen muss, dass man leidet. In der „Heute geht’s nicht“ ein vollständiger Satz ist, keine Einladung zum Verhör.
Bis dahin erkläre ich weiter. Und lächle manchmal dabei. Und manchmal nicht. Ich bin ja krank, nicht unhöflich.
Wir verwenden Cookies, damit wir Dir die bestmöglichen Informationen und Services auf unserer Website bieten können. Mit der Nutzung der Website stimmst Du der Verwendung von Cookies zu. Datenschutz | Impressum
Diese Cookies sind unbedingt erforderlich, um Dir eine funktionsfähige, sichere und stabile Website zur Verfügung stellen zu können. Es werden keine personen-bezogenen Daten gespeichert.
Diese Cookies messen, auf welche Weise Kunden und Interessenten unsere Website nutzen. Daraus leiten wir dann anonyme Statistiken ab, die es uns ermöglichen, die Bedürfnisse der Website-Besucher besser zu verstehen und die Website entsprechend anzupassen und zu verbessern.
Diese Cookies ermöglichen das Anzeigen von unternehmensrelevanter Werbung auch auf Online-Plattformen unserer Partner. Personenbezogene Daten werde nicht direkt gespeichert, basieren aber auf der Identifizierung des Browsers und Internet-Gerätes unserer Website-Besucher.
Diese Cookies ermöglichen die Erfassung von Informationen zur Nutzung sozialer Media Dienste, die wir auf unserer Website verwenden. Sie sind in der Lage Ihre Browseraktivität über Websites zu verfolgen.