Kunst und Kultur für Neugierige
divers, barrierearm und aktuell

Zum Tag der lesbischen Sichtbarkeit

Unsere Gastautorin Melike Berfê Çınar ist Referentin der Berliner Landeszentrale für politische Bildung und im Vorstand des türkischen Elternverein Berlin-Brandenburg.

 

Ich bin enttäuscht.

Enttäuscht davon, dass wir im Jahr 2024 noch immer über lesbische Sichtbarkeit reden müssen. Davon, dass wir immer wieder und immer verstärkter kämpfen müssen. Gegen queerfeindliche Agitationen im Bundestag, auf den Straßen, in den Schulen und Familien. Gegen längst überwunden geglaubte Überzeugungen, die uns voll Hohn, Hass und Vernichtungsfreude entgegen kommen.

Wir müssen aber auch immer wieder für etwas kämpfen. Für Sichtbarkeit, für lesbische sicherlich, aber eben auch für so viel mehr. Für lesbische Sichtbarkeit mit Behinderung, mit Rassismuserfahrung, für trans lesbische Sichtbarkeit, für jüdische lesbische Sichtbarkeit, für muslimische lesbische Sichtbarkeit. Denn sehr oft entsteht Sichtbarkeit doch nur für einige wenige ohnehin privilegierte Menschen.

Ich bin enttäuscht davon, dass tagtäglich so viele lesbische Personen um Sichtbarkeit kämpfen müssen, nicht nur in der sogenannten Mehrheit der Gesellschaft, sondern auch dort, wo sie sich zugehörig fühlen sollten, wo sie sich in ihren Communitys wohlfühlen sollten. Um Sichtbarkeit aber auch um Schutz. Gesehen werden und aktiv geschützt werden, als selbstverständlicher Teil der Vielfalt bedeutet: Demokratie. Viele lesbische Menschen leben eine andere Realität.

Deshalb bleibt der einen oder anderen vielleicht der Beifall im Halse stecken und der Applaus schmerzt im Handgelenk und im Herzen. Weil lesbische Sichtbarkeit nicht alles ist. Weil wir nicht nur für einen Anteil der menschlichen Identität kämpfen können, das funktioniert nämlich am Ende nicht. So lange wir uns nicht mal innerhalb der lesbischen Communitys darauf einigen können, dass jede gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gleichermaßen zu ächten ist und die Kämpfe um den Schutz von Menschen nicht aufgesplittet werden können, werde ich enttäuscht sein. Und besorgt.

Neben lesbischer Sichtbarkeit wünsche ich mir viel mehr queere Allianzen, viel mehr Einsatz gegen das Schweigen im Angesicht der Angriffe auf die Demokratie, das ein zersetzendes Gift ist und viel mehr Sichtbarkeit von Strukturen, die diejenigen bevorteilen, die andere abwerten.

 

Melike Berfê Çınar