„Sie haben uns ein Denkmal gebaut“, sangen Wir sind Helden vor zwanzig Jahren, und wie der Text weitergeht, wissen die Älteren noch auswendig. Eben diese Älteren, die nach dem Mauerfall die Ruinen des Kalten Krieges zertanzten, die mit Freiheit im Herzen und Sorglosigkeit auf dem Konto einen magischen Moment erschufen, werden dieser Tage in allen Medien zum Verfall der einstigen Techno-Hauptstadt zu Wort gebeten. Die überwiegend männlichen Autoritäten, die einst mit der Loveparade unsere Stadt mit Millionen von Marusha-Fans fluteten, haben es geschafft, ihr Lebenswerk zum UNESCO-Kulturerbe zu erheben. Ironisch, wie passend museal das klingt. Dass die Berliner Clubszene, die aus unerfindlichen Gründen synonym für Techno steht, schon länger kein attraktives Bild mehr abgibt, weiß inzwischen selbst deine Oma.
Zum einen wird das Schreckgespenst der Gentrifizierung wie ein Schrumpfkopf an die Tür genagelt, um vor den Gästen jede Erhöhung von Eintritt und Getränken zu rechtfertigen. Dass schon wieder alles teurer wird, geschenkt: Wann wurde das denn jemals nicht beklagt? Die Clubkultur war lange ein Standortfaktor für Berlin, bei dem Tourismus und Einzelhandel jährlich Hunderte Millionen einnahmen. Doch schon vor Pandemie und Mietenwahnsinn, als man noch billig nach Berlin jetten und dort für wenig Geld feiern konnte, blieb von den 168 Mio € (Jahreseinnahmen der Clubs 2018) nur wenig Gewinn in den Tanztempeln hängen. Im November 2024 berichtete die Clubcommission vor dem Berliner Senat, dass Umsatz und Gewinn im Vergleich zu 2023 über die Hälfte geschrumpft seien, und fordert nun eine staatliche Förderung ein. Das stieß nicht nur bei der Regierung auf taube Ohren.
Kurzer Reality-Check: Berliner Clubkultur, das sind überwiegend verschwitzte Männeroberkörper und Mephedron-Toiletten-Partys, das sind Drag-Queens hinterm DJ-Pult und Crop-Top-Gays auf den Floors. Während der Pandemie schloss kein einziger dieser Spaces, dank politischem Willen und vieler Spenden, doch nach CoViD-19 blieben die Tanzflächen halb leer trotz erhaltener Räume. Es liegt offenbar am veränderten Konsumverhalten, und diese Partymüdigkeit wird zurecht panisch beobachtet. Wenn sich aber Dirk Maschke aus dem Connection beschwert, dass die Gäste schon morgens halb Fünf seinen Club verlassen, fragt man sich schon, weshalb so etwas unkommentiert gedruckt wird. Wenn die fetten Jahre für Technotempel mit dem Ende des EasyJet-Tourismus vorbei sein sollten, waren diese Orte offenbar nie für Berliner Queers gedacht, die bei steigenden Lebenshaltungskosten eben keinen Hunderter pro Abend verballern können, oder wollen. Wenn in der Regenbogenhauptstadt Europas Hunderttausende nicht in die Clubs gehen, sollte irgendwann ein selbstkritisches Nachdenken einsetzen, schon aus wirtschaftlichen Gründen. Zudem haben die heute 25-Jährigen während Corona-bedingter Club-Pause natürlich nie aufgehört zu feiern. Berliner Parks, Waldstücke, Freiflächen und Brachen wurden kurzerhand zu Party-Spots erklärt, neue Kollektive und „illegale Partys“ entstanden, oft ohne kommerzielles Ziel, sondern allein um des Feiern willens, was dem Geist der Neunziger erstaunlich ähnelt. Das war angesichts geschlossener Clubs zwischen 2020 und 2023 sicherlich keine bewusste Verweigerung am Kommerz, dennoch wurden Partykultur und Clubräume nicht mehr zwingend zusammen gedacht.
Der einstige Schulterschluss von Queer-Community und Dancefloor scheint aber auch aus anderen Gründen aufgekündigt zu sein, und zwar beidseitig. Wer heute abends durch die Galerien und Ausstellungen, durch Bars und Kellerkonzerte streift, findet oft einen diverseren Mix an Menschen, als es Clubs hinter ihrer Bezahlschranke zulassen. Ein nicht geringer Teil der überwiegend jungen, gering verdienenden Nachtschwärmer*innen landet bevorzugt auf Chills, wo man berauscht neue Menschen kennenlernen kann, ohne vorher den Bankautomaten zu plündern. Wieder andere haben sich digitale Queer-Spaces aufgebaut, gehen quasi online statt aus. Besonders für die TIN*-Community sind Plattformen wie Disqus eine sicherere Adresse, als es das Nachtleben je war. Und dabei geschieht, was beinah unvorstellbar war: Das Zusammenrücken von Community und Szene, von Engagierten und Hedonisten.
All das geschieht nicht, um mutwillig Clubkultur zu zerstören und Arbeitsplätze zu vernichten (dieser Vorwurf schwebte zuletzt immer häufiger im Raum), es gibt jedoch diese Sache mit Angebot und Nachfrage, und eben da lassen es viele Clubs an Beweglichkeit mangeln, wenn es um Queers geht. Neben einem breiten Angebot für körperbewusste cis Männer zwischen 30 und 50 punktete die Berliner Nacht, die sich unverdient ‚queer‘ nennt, nur selten mit Angeboten für Jüngere und Ältere, für FLINTA* und nichtweiße Queers, die wurden halt mitgemeint. Dass sie ihr hart verdientes Geld in Spaß investieren, gilt als sicher – hingegen nicht, ob Clubs oder Technofestivals davon profitieren. Die werden jetzt halt mitgemeint.
Und wenn das morsche Konstrukt der Clubkultur nicht schon brüchig genug wäre, zerreißt eine Splittergranate namens Antisemitismus das Kartenhaus in Fetzen, offene Briefe und postkolonialer Protest beherrschten Social Media, statt für Party zu werben. Unlängst schmiss der Gründer der Clubcommission hin: „Es ist die Szene selbst, die kein Mitgefühl mit Jüd*innen zeigt, die hier in unserer Stadt um ihr Leben fürchten.“ Der Rest seiner Organisation hüllt sich in Schweigen, auch Vorstand Marcel Weber, der kürzlich noch Deutschlands ältestes Queer-Paradies SchwuZ leitete, das neben den bereits erwähnten Faktoren auch unter Boycott leidet – weil es sich weigerte, in der hitzigen Situation seit dem 7. Oktober 2023 weiteres Öl ins Feuer zu gießen. Doch nicht nur ein Enthalten sorgt für den unnützen Cancel-Spaß, auch Politisierung sorgt für ein Fernbleiben vom About Blank für seine Anti-Antisemitismus-Haltung oder dem Revier Südost für seine Anti-Israel-Partys… Im internationalisierten Nachtleben Berlins wurde der Dancefloor scheinbar zum politischen Schlachtfeld umgedeutet: Jens Schwan, der Kopf hinter dem Portal ClubMap, konstatierte schon diesen Sommer in der taz, dass „der Graben, der die Berliner Clubkultur spaltet, so tief ist, dass eine Verbindung nur noch schwer möglich ist“. Eine Generation von Clubbetreibern und Veranstaltern verabschiedet sich im Streit... Da ist es erleichternd, dass die Berliner Nacht mehr ist als dumpfe Bässe, und die queere Community ein rauschhaftes Miteinander auch fernab dieses Minenfeldes findet.
Es mag naiv wirken, aber diese Veränderungen bergen immer auch Möglichkeiten, neue Wege zu finden. Vielleicht ist die offenbare Zersplitterung einer postulierten „Szene“ überfällig gewesen, um produktiv Angebote zu schaffen, die wirksam intersektionaler sind als die vererbten Strukturen eines alten Jahrhunderts. Wie sehr wir uns auch irren wollen: LSBTIQ+ ist kein Mainstream, sondern eine Nische, und das ist unsere Stärke. Die Bewegung wurde geformt vom Scheitern, vom Aufraffen, vom Besser-Scheitern… Und diese erlernte Resilienz macht uns wacher, den Blick immer auf die nächste Exit-Möglichkeit gerichtet, um stets weiterzukommen, wenn der Weg versperrt scheint. Dieser Glaube an den Fortschritt lässt queere Spaces entstehen – Förderung und Bestandsschutz hingegen nicht. Und wenn das Berghain irgendwann eine verlassene Ruine ist, werden junge Menschen eben darin illegal feiern, auf ihre Art – wie sie es immer taten.
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