Kunst und Kultur für Neugierige
divers, barrierearm und aktuell
Bildinfo
© Bild: Getty Images / them
schließen

Lesbische Sichtbarkeit im Pop und was LesbianTok damit zu tun hat

Die chinesische Social-Media-Plattform mit 1,59 Milliarden Usern ist umstritten und steht vor allem gerade in den USA unter Beschuss, da sie als Instrument der kommunistischen Regierung gilt. Vermutlich wird sie dort bald verboten, was vielen Influencer*innen nicht nur der Einnahmequelle Nummer 1 berauben würde, sondern den einzelnen Communitys Informationen, Vernetzung und vor allem Gossip. Deine Community findest du schnell, denn der Algorithmus reagiert unvergleichbar sensibel auf deine Vorlieben. Drei, meistens grad mal 30 Sekunden lange, Videos angeschaut und du landest z.B. auf QueerTok, bzw. LesbianTok.

Und da ist was los! Lesbisches Drama ohne Ende, Lesbenbars, die als transphob kritisiert werden, Tratsch über Reality Show-Paare, LGBTIQ* Geschichtsunterricht und vor allem Musik. Geht ein Soundschnipsel von deinem Song viral, dann hast du sehr große Chancen, im Mainstream zu landen. Gerade queere/lesbische Singer-Songwriterinnen profitieren von dieser Demokratisierung durch das Netz. So konnten Becks und LUNA 2020 ihre Karrieren starten, fanden Label und gehen in diesem Jahr noch auf Tour. Das Besondere bei Becks ist auch, dass sie als maskulin präsentierende Frau immer wieder über Diskriminierung spricht, aber auch über ihre mentale Gesundheit nach einer Trennung von einer anderen Influencerin. Diese Nahbarkeit hilft vielen Baby Dykes, die sich ja bekanntlich oft einsam und unsichtbar fühlen.

Aber gerade die Ladies aus den USA und ihre Fans machen sicher, dass es uns allen nicht mehr so geht und alle Generationen beieinander bleiben.

So hat im Januar die Newcomerin Renée Rapp uns alle ins Koma geschickt („Sent us into a coma!“ wie es da drüben so schön heisst.), weil sie bei ihrem Promo-Auftritt bei Saturday Night Live mit Rapperin Megan the Stallion die Worte „Can a Gay Girl Get an Amen?“ in die Kamera lachte. Kürzlich wurde ihr Coachella-Konzert von den The L-Word-Ikonen Jennifer Beals, Kate Moenning, Leisha Hailey und Regisseurin Ilene Chaiken eröffnet.

Lesbenurgestein Tracy Chapman stand im Februar das erste Mal seit Jahren bei den Grammys auf der Bühne. Der Countrysänger Luke Combs hat ihren Hit Fast Car aus dem Jahr 1988 gecovert, wofür sie 2023 als erste Schwarze Frau den Preis ‚Bester Song des Jahres‘ auf den Country Music Awards erhielt. Das viral gegangene Video vom Auftritt hat nicht nur die Tränendrüsen angekurbelt, sondern auch das Allgemeinwissen über queere Popkultur wieder aufgefrischt, z.B. über das Drama in der Beziehung von Tracy und Autorin Alice Walker. Und nun ist sie mit Guinevere Turner liiert, DER lesbischen Drehbuch-Autorin, die u.a. für Go Fish, Watermelon Woman, American Psycho und The L-Word verantwortlich ist.

Im Januar veröffentlichte FLETCHER ihr zweites Album und auch da lief die Promo-Maschine heiß und erfolgreich. Blöd nur, dass sie im März in einem Interview von ihrem Besuch von Kursen an der Modern Mystery School berichtete. Dieses, in Ontario gegründete, Institut will mit Spiritualität und der Blutlinie von König Solomon Menschen für das harte Leben heutzutage schulen. Zudem glauben sie nur an zwei Geschlechter. Natürlich duldet die neue Generation der LGBTIQ+ Community keinerlei Transfeindlichkeit in ihren Reihen und die Popsängerin musste sich nach einem Shitstorm von der Schule distanzieren. Solche Fehltritte und die Resonanz darüber kann eine Karriere natürlich ruinieren und einer jungen L-Ikone steht das vermutlich bevor.

Der ehemalige Kinderstar JoJo Siwa sorgt gerade für viel Spott, der, und das ist die Schattenseite, bald in Hass kippen kann. Was ist passiert? Die Zwanzigjährige, bekannte aus zwei Staffeln Dance Moms und danach Nickelodeon-Star, ist bekannt für ihre Tanzshows, einem Seitenzopf und unfassbar bunten glitzernden Kostümen und Bühnen. 2021 outete sie sich als lesbisch und tanze sich als Erste in der Geschichte der Show Dancing with the Stars mit eine*r gleichgeschlechtlichen Partner*in auf den zweiten Platz. Sie steht vor allem für die queeren Mädchen, die nicht automatisch mit 14 mit frischem Nasenring und Undercut deprimiert in der Raucherecke stehen, sondern die einfach albern und kindlich bleiben wollen. Auch ihr Leben findet weitestgehend öffentlich statt und so waren auch ihre Beziehungen und vor allem Trennungen, u.a. auf einer Disney-Kreuzfahrt, zu beobachten.

Wer hat sich mit 18 oder 19 schon fair verhalten? Keine*r. Und trotzdem musste ein Neustart her und da war zu sehen, was ein Leben vor der Kamera mit dir macht. Nicht nur beklebst du deinen Tesla mit deinem Gesicht, sondern tauschst bunt in schwarz, coverst Songs von 2012, behauptest, dein Schreibprozess wäre so aufreibend gewesen und performst die schlimmste Choreographie aller Zeiten dazu. Die Tratsch-Trüffelschweine haben natürlich die Original-Sängerin Brit Smith ausfindig gemacht und ihre ursprüngliche Version von Karma in den iTunes-Charts aus dem Stand auf den 5. Platz geschossen, JoJos auf den 89.

 

Der Höhepunkt ihrer Kaltschnäuzigkeit bleibt jedoch ihre Behauptung, sie würde ein völlig neues Genre erfinden: Gay Pop!

Damit hat sie Lesben und Queers aller Generationen beschworen, allen voran die kanadischen Pop-Zwillinge Tegan&Sara, die die richtigen Worte fanden ohne etwas zu sagen. Und so wurden alle Ikonen ins Netz geknallt, die es zu finden gibt und Siwa persifliert und outgecalled. Mag ja unter Teenies witzig sein, aber wenn erwachsene Menschen damit nicht mehr aufhören können, wird es gruselig. Sie wird es vermutlich verkraften und fällt weich auf so einigen Millionen. Dass so ein Spaß aber ganz schnell in der Masse eigentlich nur Mobbing ist, ist vielen vermutlich nicht mal bewusst.

Als Fazit bleibt, dass TikTok und das gesamte Internet Datenkraken und bisweilen abgrundtiefe Mobbing-Tümpel sind. Die Niedrigschwelligkeit von Streamingdiensten ist allerdings eine riesige Chance für eine große Reichweite. Wann konnten wir schon mal so viele lesbische/bisexuelle Künstler*innen anhimmeln? Für alle Geschmäcker und Altersklassen ist was dabei und gerade auch die älteren Kaliber erleben nun oft eine Riesenwelle der Liebe und Anerkennung,  und das hätten wir ohne TikTok und seine Nischen nie geschafft.