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Rezension „Ripley“

von Bastian Peters

Regenwolken statt Sonnenbrand, Tristesse statt Dolce Vita: In der jüngsten Verfilmung des schwul-kodierten Krimiklassikers „Der talentierte Mr. Ripley“ muss die sinnliche Begierde einer unterdrückten Wut weichen, und macht den Thriller so noch queerer.

Es gehörte für Generationen von queeren Leseratten zur Königinnendisziplin, zwischen den Zeilen zu lesen und regenbogenfarbene Kontexte lustvoll aufzuspüren, um daraufhin das entdeckte Geheimnis glühend-aufgeregt weiterzureichen. Eine dieser Entdeckungen war die lesbische New Yorkerin Patricia Highsmith: Mit 27 Jahren von Queer-Ikone Truman Capote protegiert, mit 30 von Meisterregisseur Alfred Hitchcock verfilmt, und vier jahre später mit „Ripley“ in die Literaturgeschichte hineingraviert. Dass Highsmith als unangenehmste Person in Greenwich Village galt, eine flammende Judenhasserin war und trotz ihrer Sexualität ihre Verachtung vor Frauen freien Lauf ließ, schien ihr Publikum nicht abzustoßen – im Gegenteil, ihre zur Schau gestellte Menschenverachtung schien das Bild, das ihr amoralischer Antiheld Thomas Ripley in fünf Romanen abgab, zu komplettieren.

Der schwule Theater- und Fernsehstar Andrew Scott als Mr. Ripley (2024)
© Bild: Netflix

Seit sechzig Jahren tränkte der Emporkömmling und Massenmörder Ripley immer wieder die Kinoleinwände in Blut, allen voran sein erstes Meuchel-Abenteuer „Der talentierte Mr. Ripley“, das von Oscar-Gewinnern René Clément und Anthony Minghella verfilmt in die Kinogeschichte einging: Stechende Mittagssonne, räkelnde Körper am Strand, ein postkartenschönes Panorama der post-faschistischen Fünfziger, all das war Begehr des bleichen Ripley. Dieser Tage veröffentlichte der Streamingdienst NETFLIX die jüngste Adaption des Krimiklassikers in acht Episoden, eine sogenannte Miniserie, also ein dem Kinospielfilm nicht unähnliches Format. Allerdings werden nun die römischen Fensterläden vor der Sonne verriegelt, die sommerliche Luft der Adria gegen moos-morschen Gestank eingetauscht und der Technicolor-Farbfilm mit monochromer Strenge ersetzt.

Vor einem Vierteljahrhundert haben Matt Damon, Gwyneth Paltrow und Jude Law auf der Höhe ihres Ruhmes und ihrer Schönheit (alle Drei waren erst Mitte Zwanzig) eine mediterrane Fantasie für die Ewigkeit geschaffen, die umgerechnet $250 Mio. in die Kinos spülte und homosexuelles Begehren völlig zwanglos darstellte. Dieser eine Satz ist im prüden 2024 unvorstellbar für eine Hollywood-Produktion, und dass der gleiche Thriller heute in kaltem Schwarzweiß, zugeknöpft und unerbittlich spröde inszeniert wird, ist daher keine Überraschung. Überraschend allerdings ist, dass Oscar-Preisträger Steven Zaillian und der offen schwule Hauptdarsteller Andrew Scott den queeren Subtext gerade deshalb noch eindrücklicher vermitteln als der Minghella-Film von 1999, in dem mehr Homosexualität hineingedichtet wurde, als es die Buchvorlage vorsah.

Matt Damon, Jude Law und Gwyneth Paltrow (1999), Dakota Fanning, Johnny Flynn und Andrew Scott (2024)
© Bild: Miramax, Netflix

Die Story braucht sicherlich keine Vorstellung, denn die mörderische Reise des Mr. Ripley von einem rattenverseuchten Kellerloch in New York hin zu einem venezianischen Palazzo ist wohlbekannt. Erstaunlich ist hier, dass Ripley nicht mehr ein verletzlicher Junge ohne Moral ist, sondern ein Trickbetrüger in den Endvierzigern mit täglich schwindenden Möglichkeiten, der das High-life seines verwöhnten Altersgenossen Dickie kalt-lächelnd missgönnt (die Rolle des gold-schimmernden Jude Law wurde hier mit einem leer-gesichtigen Johnny Flynn besetzt). Die allesverschlingende Langeweile der Reichen und Schönen unterstreicht die vermoderten Bauwerke des Quattrocento und lässt genüsslich dabei zuschauen, wie die Les Enfants terribles sukzessive der Habgier Ripleys weichen müssen. Keine Sommerbrise lenkt davon ab, wie die Alte Welt von Millionärskindern als Kulisse für ihre drögen Ausflüge benutzt wird – es herrscht Winter in Italien, der Regen strömt, und ein jedes Tier, ein jeder Gegenstand lauert darauf, welcher Schädel wohl als nächstes zu Bruch gehen wird.

© Bild: Netflix

Dass es Ripley in dieser Inszenierung versagt bleibt, leidenschaftlich zu sein, schwul zu lieben oder auch nur auffällig laut zu lachen, kann als zeitgemäße Darstellung queeren Lebens eingeordnet werden. Vor allem aber ist es der mögliche Groll darüber, jegliche Natur unterdrücken zu müssen, der Ripley zu einem Widersacher macht für die, denen es seiner Meinung nach zu gut geht. Umgeben von Profilneurotikern wie dem Berufssohn Freddie (gespielt vom nichtbinären Popstar Eliot Sumner, selbst Nepo-Baby aus dem Hause Sting), ist Ripleys Profil bis zur Unkenntlichkeit geschliffen – eine verwechselbare Person, mit Talent für grausame Mimikry und einer morbiden Faszination für Italiens möderisches Genie Caravaggio.

Ripley ist ein Einzelgänger, der die Gesellschaft bewusst meidet, und zumindest so eine fragile Kontrolle über sein kleines Leben erhält. Dies scheint das queere Erleben vor siebzig Jahren realistischer zu reflektieren, als es der strunz-verliebte Ripley in der ‘99er-Kinoversion war, was sich mit dem heutigen Mainstream eh beißen würde, wie bereits erwähnt. Ja, die Zeiten haben sich geändert, die Sehgewohnheiten allemal, und die NETFLIX-Produktion reiht sich mit ihrem Zynismus ein in Publikumserfolge wie „Triangle of Sadness“, „White Lotus“ und „Saltburn“. Heute scheint das Streben nach Geld mehr zu sein als Satire, die Zurschaustellung von Gefühlen mehr als Performance, all das ist ironiebefreiter Zeitgeist.