Toleranz-Popanz in der Kunstbibliothek

Bis zum 17. Juli zeigt die Kunstbibliothek die Sonderausstellung „Studio Tolerance“. Künstler*innen aus 36 Ländern präsentieren Plakatkunst zum Thema Toleranz. Unsere Autorin Charlotte von Schuckmann beleuchtet kritisch die politische Wirkmächtigkeit des Projekts.

Ob Kunst, Kommerz oder Propaganda, das Medium Plakat blickt auf eine lange und wechselvolle Geschichte zurück. Im Unterschied zu den Kunstwerken, die wir in Museen bewundern können, werden Plakate als Werbemittel von einer großen Öffentlichkeit gesehen – im Vorbeigehen, beim Warten auf den nächsten Zug, an Bauzäunen oder Litfaßsäulen. Plakate sind Teil unseres Alltags und haben sich ganz beiläufig in unser visuelles Gedächtnis eingeschrieben. Dabei ist ihre Formensprache so vielseitig wie die Inhalte, die sie bewerben. Aber kann dieser „Werbeträger“ ein auch Motor für gesellschaftliche Veränderungen sein? Diese Frage steht im Zentrum einer Sonderausstellung in der Kunstbibliothek. „Studio Tolerance“ ist in Zusammenarbeit mit dem Tolerance Project entstanden und zeigt 63 Arbeiten von Gestalter*innen aus 36 Ländern.

Eine Plakat-Kampagne als Kunstprojekt

Begonnen hat alles im Jahr 2017 in Ljubljana. Anlässlich des Filmfestivals „House of Tolerance“ bat der bekannte Grafiker Mirko Ilić 28 Künstler*innen um Posterentwürfe. Einzige Vorgabe: Das Wort „Toleranz“ musste in ihrer jeweiligen Muttersprache zu lesen sein. Nach der erfolgreichen ersten Ausstellung entschied sich Ilić, das Projekt auszubauen und zukünftig weltweit zu zeigen – der Startpunkt einer Erfolgsgeschichte. In fünf Jahren hat sich das Tolerance Project von einer lokalen Initiative zu einem globalen Projekt mit bislang 135 Shows entwickelt. Und es wächst stetig weiter, denn bei jeder Station nehmen Künstler*innen und Grafiker*innen aus der Region teil und fügen ihre Arbeit in den bestehenden Plakat-Katalog ein.

Reklame für mehr Toleranz?

Betritt man nun den Empfangsraum der Kunstbibliothek, ist die Enttäuschung erstmal groß. Hinter Glas hängen Plakate, deren kleinster gemeinsamer Nenner ihre gestalterische Einfallslosigkeit zu sein scheint. Was technoide Wasserpflanzen, eine neonfarbene Sonnenfinsternis oder ein bunt angesprühter Totenschädel mit Toleranz zu tun haben, erschließt sich auch auf den zweiten Blick nicht. Nach diesem misslungenen Auftakt werden die Besucher*innen im ersten Stock mit Regenbogen empfangen – als visuelles Leitmotiv der Ausstellung ist das erstmal vielversprechend. Und tatsächlich setzen sich die Gestalter*innen hier mit dem Thema Toleranz auseinander: Da protestiert ein Strichmännchen gegen Trump, zwei anthropomorphe Messer küssen sich, Menschen werden im Dialog gezeigt. „Ein Gespräch über Inklusion kann nur auf der Grundlage der Toleranz beginnen“, so der Initiator Ilić. Toleranz soll als Basis für Austausch, Offenheit und Liberalität verstanden werden. Allerdings ist der Begriff schon lange in Verruf geraten. Der lateinischen Wortherkunft nach bedeutet er schlicht „erdulden“, „ertragen“. Ein Plakat von Stefan G. Bucher aus den USA bringt es auf den Punkt: Ganz unten auf seinem Werk streicht er „tolerance“ einfach durch und lässt nur das Wort „acceptance“ stehen.

Auch wenn Ilić und natürlich auch der Kunstbibliothek daran gelegen ist, Toleranz als positiven, kulturverbindenden Grundkonsens zu deuten, krankt das Tolerance Project wie auch die Ausstellung an diesem Geburtsfehler. Überdeutlich sichtbar wird das bei den Mitmach-Stationen. Hier können Besuchende ihre Gedanken zum Begriff schriftlich oder zeichnerisch festhalten. „Das Gegenteil von ICH ICH ICH-Mensch!“, „Leben und leben lassen“ und natürlich darf „jeder Mensch nach seiner Façon glücklich werden“, ist dort zu lesen. Aber auch: „Toleranz steht im Widerspruch zu Gleichberechtigung – gegen Toleranz, für gleiche Rechte für alle!“. Ein kämpferischer Aufruf, dessen Vehemenz man vielen der gezeigten Arbeiten nur wünschen kann.

© Bild: Nuno Martins, Portugal
© Bild: GRAFPROM studio, Ukraine
© Bild: David Tartakover, Israel
© Bild: Stefan G. Bucher, USA
© Bild: Edel Rodriguez, Cuba
© Bild: Leonardo Sonnoli, Italien

Die Kunstbibliothek in Regenbogenfarben

Trotz der regenbogenfarbenen Visual Identity der Ausstellung sind Plakate mit queeren Inhalten spärlich gesät. Ob ein älterer Herr mit schlecht aufgetragenem Lipgloss (David Tartakover, Israel), das Foto eines antiken Hermaphroditen (Leonardo Sonnoli, Italien) oder haarige Beine in High Heels (Grafprom Studio, Ukraine) zu mehr Offenheit und Akzeptanz für queere Menschen anregen, darf bezweifelt werden. Und doch bietet „Studio Tolerance“ ein paar Highlights, die brisante politische Themen zeigen. Beispielsweise hat sich Bojan Hadzihaliović aus Bosnien und Herzegowina mit den Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten, Nuno Martins aus Portugal mit Europas Haltung gegenüber Geflüchteten beschäftigt. Auch künstlerisch setzen einige Grafiker*innen das Thema interessant und vielseitig um.

Dennoch schwankt die Ausstellung zwischen gesellschaftspolitischen Anspruch und der Ambiguität des Themas. In ihrem ästhetischen Pluralismus ist kaum Verbindendes zu entdecken, die Auswahl der Arbeiten wirkt allzu beliebig. Dabei ist Plakatkunst, laut der Website der Kunstbibliothek, „ein ideales Medium für öffentliche Denkanstöße“. Aber für einen ernsthaften Diskurs braucht es mehr als ein paar Plakate. Leider kann eine reisende Poster-Show die Welt wohl nicht zu einem besseren Ort machen.

Studio Tolerance
Ausstellung bis 17. Juli 2022
Kunstbibliothek