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Filmkritik „All the Beauty and the Bloodshed“

von Friederike Suckert

Die derzeitige Ästhetik in der Fotografie wäre ohne die US-amerikanische Fotografin Nan Goldin undenkbar. Nicht nur ist sie eine der wenigen Frauen, deren Arbeit auf dem Kunstmarkt hoch gehandelt wird, sie gehört auch zu den denen, die die Kamera schonungslos drauf halten. Häusliche Gewalt, Sex, Queerness, Drogenmissbrauch und später auch die AIDS-Pandemie: Ohne Filter zeigt sie das New York der Siebziger bis zu den Neunzigern in all seiner Schön- und Krankheit. Die Dokumentation „All the Beauty and the Bloodshed“ der lesbischen Oscar-Gewinnerin Laura Poitras erzählt von diesen Jahren und ihrer Arbeit als Aktivistin gegen die Pharma-Familie Sackler, die maßgeblich an der Opioid-Krise in den USA Mitverantwortung trägt.

Trauma als Motor

Die Künstlerin kommt aus einer Familie mit einem schweren intergenerationellem Trauma. Nach einem harten Einschnitt in ihrer Kindheit zieht sie mit 14 Jahren nach New York und trudelt dort durchs Leben. Sie nimmt jeden Job an, was Spuren hinterlässt, und sie wird heroinsüchtig wie ihre beste Freundin Cookie Mueller. Sie schafft es, die Sucht zu bekämpfen, muss aber zusehen, wie ihr Umfeld an den Folgen von HIV und Drogenmissbrauch sterben. Ihr Werdegang in der Kunstwelt ist einzigartig.

Nach einer Knieoperation im Jahr 2013 wird sie binnen kürzester Zeit süchtig nach dem Schmerzmittel Oxycodon, hergestellt von der Pharmadynastie Sackler. Die Sackler-Familie besteht aus drei Strängen, die allesamt wichtige Mäzene sind. Nachdem sie sich auch aus ihrer Tablettensucht rauskämpft, gründet sie die Gruppe „P.A.I.N“ (Prescription Addiction Intervention Now). Mit Aktionen in den großen Museen in New York, London und Paris wollen sie darauf aufmerksam machen, welches Geld hier fließt. 

Kompromisslosigkeit als einzige Chance

Aus diesen beiden Erzählsträngen besteht der Film und von der ersten Sekunde sind wir dabei. Man sagt, dass man in jedem Porträt auch einen Teil der/des Künstler*in sieht, und auch dieser Film lässt das erkennen. Diese zierliche rothaarige Frau, die so schüchtern und bedacht wirkt, ist einfach losgegangen und hat andere und sich selbst bei allem ins Gesicht geblitzt. Jede fotografierte Person durfte entscheiden, auf welchem Bild sie sich am Schönsten fand, den Rest hat Nan Goldin weggeschmissen, so hat sie ihre Zuneigung und Respekt gezollt. Diese Menschen sind auch ein Teil ihres Erfolgs, Ausnahmetalent hin oder her. Was mich aber restlos begeistert: Ihr Erfolg ist ihre Macht und die nutzt sie, um diese Pharma-Familie aus den Museen zu vertreiben, wohlwissend, dass ihr persönlich sehr viel Geld verloren gehen würde. Das alles wird unaufgeregt gezeigt, die Bilder überzeugen. Laura Poitras hat dafür den Goldenen Löwen in Venedig erhalten.

Ich empfehle allen diesen Film, denn er wird auch den inneren, sehr müden Aktivismus wieder entfachen. Ich rate aber auch allen, die in der Ausstellung in der Akademie der Künste waren, die Doku zu schauen. Im Rahmen ihres Käthe-Kollwitz-Preises 2022 wurden einige ihrer Bilder gezeigt, die komplett wahllos kuratiert erschienen. Wenn man das Sujet und die verschiedenen Objekte ihrer Fotografie nicht näher kennt, war die Einzigartigkeit kaum zu erkennen. Mit der Einordnung der Personen und ihren persönlichen Phasen wird dies jetzt aber klarer. Fans von ihr werden eh gehen, aber selbst wenn ihr denkt, ihr wisst schon alles: Nein, sie erzählt hier Dinge zum ersten Mal, was man fast nicht glauben kann von einer Frau, die sich selbst mit blau geschlagenen Augen gezeigt hat.