Bildinfo
© Bild: ARD Degeto
schließen

Janz Berlin is eene Wolke!

Die erfrischende Diversity-Welle in der ARD hat begeistert, auch wenn viel Halbgegorenes oder sogar richtiger Blödsinn dabei war. Das größte Projekt ist die sechsteilige, halbfiktionale Serie „Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit“. Sie handelt von den jüdischen Kaufhaus-Erb*innen Jandorf Harry und Fritzi, die sich mit dem KaDeWe-Prokuristen Georg Karg anfreunden. Vor den Kulissen der Weltfinanzkrise und dem aufkeimenden Nationalsozialismus werden die Zutaten für die gängige Goldene-Zwanziger-Erzählung zusammen geworfen: Kriegstrauma, Verarmung, Sex, Drogensucht, Eskapismus und als Bonus eine lesbische Liebe. Denn die wohlhabende, Anzug tragende und freigeistige Fritzi verliebt sich in die Angestellte Hedi, die als Halbwaise den kriegsversehrten Vater und die Schwester Mücke, die das Down-Syndrom hat, durchbringen muss. 
Klingt überladen, wäre aber durchaus so möglich gewesen. 

Säufste, stirbste, säufste nich, stirbste ooch, also säufste.

Die zwei Pole, zwischen denen das Leben der vier Jungspunde stattfindet, sind der legendäre queere Club „Eldorado“ im Motz-Kiez und eben das Kaufhaus des Westens, was es zu retten gilt. Was schwierig ist, wenn nur der Sohn erben darf, dessen Selbstmedikation für seine post-traumatische Belastungsstörung aus Koks und Nutten besteht.

Georg hingegen versucht das KaDeWe zu retten und gewinnt so nach und nach das Vertrauen des Vaters, während Fritzis Ideen und Ambitionen mehr oder weniger abgewiegelt werden. Die steckt sie dann eben in die Frauen*- bzw. Lesben*bewegung Berlins. Die Liebe zwischen Hedi und ihr ist groß, aber muss geheim gehalten werden. Soweit so unspektakulär in der Erzählung. Ab jetzt wird gespoilert.

Die Regisseurin Julia von Heinz macht einiges richtig, aber verfällt auch ausgelutschten Klischees. So lässt sie Harry zwar seine Drogensucht und das Kriegstrauma überwinden und neuen Kampfgeist entwickeln, aber dass wir permanent seinen getöteten Kameraden und die abgetrennten Beine sehen müssen, tut nicht Not. Krieg ist scheisse, haben wir alle verstanden. 

Die lesbischen Sexszenen sind explizit und schon erstaunlich, wird sich doch beim wilden Gelecke aus einem Frauenratgeber vorgelesen. Dass die zwei Frauen ein Happy End erleben dürfen, ist neu. Historische queere Figuren sind in der Regel zu Einsamkeit und Tod verdammt. Der Weg zum Glück dorthin war qualvoll und auch das immer wieder sehen zu müssen, ist schmerzhaft und durchaus retraumatisierend. So wird Fritzi von einer doppelmoralischen Psychotherapeutin, der man die Queerness auf tausend Metern ansieht, mit Elektroschocks als Konversions-Therapie malträtiert. „Die Ungeouteten sind die schlimmsten Homofeinde.“ Absolut problematisches Narrativ, denn der ausschlaggebende Grund für die Angst vor dem Outing ist ein queerfeindliches Umfeld. Etwas, was vor allem cis-hetero Männer, die sich selbst und ihren Status noch nie hinterfragen mussten, nicht nachvollziehen können. Natürlich werden die Leute aber verachtet und als Ausrede benutzt, eigene Mikroaggressionen nicht hinterfragen zu müssen.

Die ständig spürbare Bedrohung durch SA-Schergen, bis hin zur realen Gewalt, hat bei vielen den Reflex hervorgerufen: „Guckt mal, wie gut es der LSBTIQ*-Community heute geht!“ Da kann ich nur dazu raten, sich zu erinnern, welche Diskussion gerade über die Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer in der EMMA geführt wurde und wie die Gewaltstatistik gegen LSBTIQ*-Personen aussieht.

Ran an de Buletten!

Vor allem aber hinterlässt der Erzählstrang von Georg Karg einen fahlen Beigeschmack. Die reale Figur, die sich zum Prokuristen hochgearbeitet hat, bei der Fusion der jüdischen Warenhausketten Jandorf und Tietz mitgewirkt hat, hat die Gründerfamilien nach und nach aus dem Unternehmen gedrängt und als Geschäftsführer unter dem Namen Hertie weitergeführt. Die Ablösesumme und spätere Entschädigung waren lächerlich gering.

In der Serie wird er als Vernachlässigter dargestellt, der als siebtes von zehn Geschwistern die fehlende Elternliebe mit einer Fresssucht kompensiert. Zudem waren alle in der Familie Alkoholiker*innen, er bleibt trocken. Tritt er am Anfang reserviert und ehrgeizig auf, wird er später zum festen und vor allem loyalen Bestandteil des Kleeblatts, lässt sich sogar ganz hipsteresk mit den anderen ein Herz auf die Fingerkuppe tätowieren. Kaum verkuppelt ihn sein Freund Harry mit Elisabeth, einer Angestellten mit Ambitionen, die ein bisschen viel mit Nazis rumhängt, wackeln seine Prinzipien. Was soll die Moral der Geschichte sein? Der arme ungeliebte Junge wollte doch auch nur nach ganz oben und konnte ja nix für die Umstände? Oder ist eben die Frau schuld, die ihn quasi vor die Wahl stellt? Soll man ihn nett finden und dann sagen: „Jeder hat mitgemacht, auch die vermeintlich guten. Pech gehabt!“?

Es ist wie es ist und es war nie anders? Nee.

Mit der Entscheidung, die sicher auch dem Budget geschuldet sind, die Außenszenen im heutigen Berlin zu drehen, ist auch die Grenze zur Geschichtsrevision ganz dünn. Es ist gewollt, Parallelen zu heute zu ziehen, aber wir tanzen nun mal nicht auf dem Vulkan „Weimarer Republik“. Die Krönung ist die Razzia im Eldorado, bei der ein moderner Polizist die Pride-Flag zerreisst. Nicht falsch verstehen: ich liebe es, wenn sie in ihren Flapper-Outfits und Dreiteilern vor gelben Haltestellen-Stangen stehen, aber die Geschichte wiederholt sich nicht, auch wenn viele Probleme weiterhin Bestand in unserer Gesellschaft haben. Wie denn auch nicht, wenn alles Progressive zerbombt, weggesperrt und getötet wurde? 

So bleibt die Serie mit den großen erzählerischen Ambitionen, die einen sehr liebevollen Blick auf seine Figuren und vor allem das Berliner Nachtleben hat, doch nur nette Unterhaltung mit einem Grimme-nominierten Soundtrack und ausgesprochen scharfen kessen Vätern im Hintergrund. Je nach Laune nichts Verkehrtes!

 

Alle Beiträge von PINK.LIFE-Redaktion

Künstler_in Seite