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Friederikes Fernsehkolumne – „Killing Eve“

Am 27. Februar 2022 war es endlich soweit: Die vierte und finale Staffel der Krimi-Serie „Killing Eve“ begann. Auf dem Prime Channel „Starzplay“ wurde jede Woche eine Episode gezeigt. 

Selten liegen Vorfreude und Trauer so nah, hat doch gerade die blonde Villanelle vielen den Kopf verdreht. Es gibt TikTok-Trends von heterosexuellen (verpartnerten) Frauen*, die durch die grandiose Newcomerin Jodie Comer ihre Bisexualität entdecken. Der Lobgesang auf die facettenreiche Mimik der Britin lässt fast vergessen, dass ihr Pendant Eve von Sandra Oh dargestellt wird. Die Kanadierin mit koreanischen Eltern hat schon viel gespielt, aber vor allem Fans vom Krankenhaus-Dauerbrenner „Grey's Anatomy“ mit ihrer Coolness begeistert.

Villanelle ist eine russische Killerin, die für die mysteriöse Weltverschwörungs-Elite „Die Zwölf“ in Europa Menschen auf die schlimmsten, aber kreativsten Arten tötet und Eve die MI5-Agentin, die sie jagt. Allerdings entwickeln die zwei eine unglaubliche Anziehung füreinander, die durchaus toxisch ist, aber auch verdammt sexy. 

Nahezu alle Zusehenden sagen sich: „Natürlich möchte ich nicht von einer Auftragskillerin gestalked werden, aber hast du das Outfit gesehen?“ Die Looks, ob rosa Rüschenkleid oder Designeranzug, sind atemberaubend. Gepaart mit einem coolen Soundtrack und den interessantesten Locations in Europa, ist es also kein Wunder, dass wir alle wissen mussten, wie das Katz-und-Maus-Spiel endet, ob die zwei sich endlich kriegen. Ab jetzt wird vor allem das Ende gespoilert.

Selbstreflexion ist harte Arbeit

Da ich das Konzept von wöchentlich erscheinenden Folgen auf einer Plattform, die ich bezahlen muss, extrem unverschämt finde, habe ich tapfer zwei Monate gewartet und nahezu alle Spoiler vermieden. Ein Segen, denn so lang auf so ein bescheidenes Ende hinzubangen hätte mir nachhaltig geschadet. Wie konnt es soweit kommen?

Am Ende der dritten Staffel gingen die beiden getrennter Wege, denn sie können nicht zusammen sein ohne eine Blutspur hinter sich her zu ziehen, was ihnen missfällt. Während Eve das Kaltblütige in sich erst entdeckt, will Villanelle das nicht mehr. Sie spürt einen Funken Mitgefühl und das ist hart.

Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen, wird uns allen auf gewohnt brutale Art klar gemacht, dass es ihr schwer fällt, ein guter Mensch zu sein. Trotz Taufe in der Kirche kann sie ihre Wut nicht ohne zu töten regulieren. Sie versucht auf verschiedene Arten rauszufinden, woran es liegt. Ist sie eine Psychopathin oder wurde ihr das von den „Zwölf“ anerzogen? Kann sie raus aus diesem Kreislauf? Sie möchte es gern, vor allem auch für Eve, aber die ist wie bei jedem Staffelbeginn komplett over it. Lieber pflegt sie ihre Affäre mit dem muskulösen Kollegen und versucht illegal rauszufinden, wer in dem blutrünstigem Irrsinn der letzten Jahre eigentlich die Strippen zieht. 

Ab diesem Punkt wird es chaotisch, viele mächtige Frauen in Designerfummeln begeben sich auf Rachefeldzug durch Europa, rekrutieren neue Killerinnen, sollen ausgebildet werden oder sind schon eine und die Auftraggeber*innen checkt auch niemand mehr. Es wird gestarrt, schnippische Dialoge geführt und vor allem werden viele Personen gewohnt virtuos verletzt oder getötet. Neben dieser üblichen Gewalt-Verherrlichung (und das war es schon immer!), ist dieser Girl Boss-Vibe unerträglich. Durchbrechen wir jetzt die gläserne Decke, wenn sich im internationalen korrupten Siff möglichst diverse Frauen* elegant umbringen? Was die cis Männer können, können wir schon lange, aber noch raffinierter! Auch wenn der (weisse) feministische Ansatz  nachvollziehbar ist, ist er nicht durchdacht und am universellen Thema komplett vorbei. Niemanden hat an dieser Serie je wirklich interessiert, wer eigentlich die Welt beherrscht. Der einzig gute Aspekt an dem ganzen Wirrwarr sind neben den guten Outfits, dass die Killer-Newcomerin Pam (Anjana Vasan) erkennt, dass sie dieses Leben nicht führen möchte. Etwas, was Villanelle nie konnte. Diese trifft auf ihrer Reise eine Frau, die ihr in der Brutalität eine Meisterin ist. Allerdings klammert sie zu sehr und zum Glück sammelt Eve sie endlich ein.

 

Wenn mit Schrecken, dann doch lieber gar kein Ende.

Es beginnt ein Roadtrip durch Schottland, sie lachen viel, finden anderen Menschen doof klauen einen Wohnwagen, essen Pommes und knutschen. Die Romantik haben sie sich und wir uns schwer erarbeitet. Allerdings möchten sie auch endlich „die Zwölf“ loswerden und so geht's ab auf ein Londoner Party-Boot. Während Eve oben ein schwules Paar traut und mit der Hochzeitsgesellschaft Formation tanzt, tötet Villanelle im Schiffsrumpf endlich die miese Bande. Sie ist beim Blutgespritze wunderschön anzusehen, vielleicht verstörender denn je zuvor. Nach der finalen Drecksarbeit, die Villanelle sichtbar zusetzt, sind sie frei, können ihr gemeinsames Leben beginnen, liegen sich erleichtert in den Armen: Jetzt haben wir unser Happy End! Aber leider möchte die BBC America ein Spin-Off mit der einstigen MI6-Chefin Carolyn (die britische Ikone Fiona Shaw) drehen und unsere Anti-Heldin wird aus dem Nichts erschossen. Sie reisst Eve ins Wasser, aber zu spät. Eve muss sehen wie die Frau, mit der sie so hart für eine gemeinsame Zukunft gekämpft hat, in der Themse versinkt. Die Engelsflügel aus Blut sind an klerikalem Kitsch kaum zu überbieten. Soll das die Läuterung sein? Es folgt einer der schlimmsten Schmerzensschreie der queeren Filmgeschichte und schon wird ein unverschämtes „The End“ über den Bildschirm geknallt. Hier fließen wieder heisse Tränen darüber.

Das gute alte „Bury Your Gays“ Narrativ hat also endlich wieder zugeschlagen: Queere Personen werden nicht glücklich. Sie sterben oder müssen mindestens ihr Leben mit gebrochenem Herzen fristen. Und das in der aktuell wichtigsten lesbischen Serie der Popkultur.

Nicht nur ich, auch die gängigen Foren und Portale schäumen über vor Wut. Wie konnte man so ein homophobes Ende zulassen? In der Romanvorlage von Luke Jennings ist es ein Bluff, damit das Paar wirklich irgendwo zusammen leben können. Die Chef-Autorin Laura Neal besitzt die Frechheit zu behaupten, dass Eves Schrei Freude sei, da sie nun neugeboren ist. Der Kirchen-Kontext eine extra Klatsche, wenn man an Konversionstherapien etc. denkt. Auch die Behauptung, dass sie eigentlich Eve beschützt hat und das der ultimative Beweis ist, wie sehr Eve sie zum Positiven verändert hat, schlägt dem Säurefass den Boden aus. Ich gönne natürlich allen Autorinnen den Karrieresprung, aber die Abwesenheit von Phoebe Waller-Bridge (Fleabag) für die Arbeit an „James Bond - No Time to Die“ ist schmerzhaft bemerkbar. Aber auch schon vorher wurde die mangelnde Diversität im Writers Room kritisiert. Selten wurden Fans so verarscht und so haben sich nicht nur Gruppen gegründet, die das Drehbuch neu schreiben, sondern es wurde direkt eine Petition für ein neues Ende auf change.org erstellt. 

Und während nicht nur ich einer gut angezogenen, emotional kaum bindungsfähigen Blondine hinterher trauere kommt die Nachricht rein, dass Jodie Comer in der HBO-Serie „Big Swiss“ eine, vermutlich lesbische, New Yorkerin spielen wird, die eine obsessive Affäre beginnt. Manche munkeln gar, dass sie weiß, dass unsere queeren Herzchen gebrochen wurden uns es für uns tut. Danke, Jodie.