In diesem Jahr gab es was zu feiern: Zehn Jahre Pop-Kultur! Seit 2015 zelebriert das vom Berliner Senat geförderte Festival die moderne Musik in all ihren Facetten. Für alle, die sich mit Musik beschäftigen, gibt es Nachwuchs-Workshops, das Goethe-Institut lädt junge Menschen aus anderen Ländern ein und bei den „Commissioned Works“ kuratieren Musiker*innen exklusiv ein Programm. Die Çaystube auf dem Hof der Kulturbrauerei bietet queeren Künstler*innen eine Bühne und ist auch für Menschen ohne Bändchen frei zugänglich. In Talks wird über Memes, Nazis und Popkultur gesprochen. Natürlich hab ich mir das genauer angesehen.
Was ich schon immer besonders an der PK finde, ist die Umsetzung von Barrierefreiheit. Live-Talks werden für den Stream simultan in Gebärden übersetzt und über den historischen Kopfsteinpflasterhof wurden robuste Bahnen für Rollstullfahrer*innen oder alle Personen ausgelegt, die sich so sicherer fortbewegen können. Vielleicht hätte ein Hinweis beim Erhalten des Bändchens geholfen, die Wege auch wirklich immer frei zu halten, da besonders vor der Çaystube immer viele Menschen auf den Paneelen standen; ob aber alles im Großen und Ganzen gut gelaufen ist, sollen an dieser Stelle andere entscheiden. Es wurde auch auf Awareness geachtet, was sehr gut ankam: Ich hab oft Leute im Publikum darüber sprechen hören. Die Pop-Kultur hatte schon immer eine hohe Quote an weiblichen und/oder queeren Künstler*innen, was sie in der Festival-Landschaft ziemlich einzigartig macht. Trotzdem, muss ich gestehen, waren meine Konzertbesuche dieses Jahr sehr männerlastig.
Los ging es am Mittwoch mit Kabeaushé. In Kenia geboren und in Berlin lebend, hat er hier seinen Sound gefunden. Das wie immer stickige Kesselhaus betrat dey als Alter Ego The Shé in blonder Perücke und rotem Samt-Einteiler, schon ziemlich camp. Binnen kürzester Zeit war das Berliner Muffelpublikum am Tanzen. Mit falsett-artiger Stimme, schnellen Trap-Parts und pompösen Beats war das auch kein Wunder.
Kurz bei Twin Flame reingeluschert. Die Wahl-Berliner*innen K.ZIA und Sedric Perry haben sich schon 2019 im Studio getroffen und ihren eigenen sound aus Afrobeats, Amapiano, Soul und R’nB kreiert, aber hatten erst dieses Jahr ihre Bühnenpremiere. Ein Fest queerer und Schwarzer Hochkultur.
Schnell zu Ilgen-Nur rüber, die ihre Platte It’s All Happening gespielt hat. Wie immer mit E-Gitarre, hatte sie nun eine fünfköpfige Band um sich gescharrt. Was für ein Wachstum seit ihrer Commissioned Work 2019, wo es nur sie und ihre Gitarre gab. Ihr cooler Pop funktioniert in jedem Format. Sie war in der Corona-Zeit in Kalifornien gefangen und hatte später noch eine Residency im Thomas Mann-Haus in L.A. und entwickelte da ihren Sound weiter.
Nach einem kurzen Abstecher zu Olympia Bukkakis' Karaoke-Show ging es weiter zu A Certain Ratio. Die Band aus Greater Manchester begeistert seit 1977 mit Post Punk gemischt mit Disco und Funk. Die alten weißen Männer hatten Bock, und haben sich (und ihrem Spirit) mit der jungen Bassistin einen Gefallen getan. Bei mir flossen die einzigen Tränen der folgenden drei Tage bei dem Song „Won’t Stop Living you“. Ein Tribut an die 2020 verstorbene Sängerin Denise Johnson, die mit vielen britischen Bands wie New Order auftrat und einst hier mitwirkte.
Der bulgarische Liedermacher Ivo Dimchev hat schon auf der ganzen Welt die Theaterwelt bereichert und landete nun bei uns. Um halb zwölf war definitiv zu spät, um den queeren Künstler richtig wertzuschätzen. Seine Stimme und sein ganzes Werk sind komplex, erinnern an die Exzentrik eines Klaus Nomi. Muss definitiv nochmal nachgehört werden.
Am Donnerstag waren 34°C und die Lüftung auf dem Areal der Kulturbrauerei eher mäßig. Nach einem Banh Mi von einem der Food Trucks vor Ort, ging es schon zu Arab Strap. Benannt nach einem Sextoy, haben die Männer aus Schottland auch sonst viel Humor. Zu sauberen Beats wird mit hartem Akzent ins Mikrophon geschnoddert. Sie sind die fauligen Onkel, die aber trotzdem die unterhaltendsten Geschichten haben.
Bei einer kurzen Erfrischung an der Çaystube hat Berliner Rapper*in Alice Dee die Queers zum Kochen gebracht. Es waren viele einfach nur so da und so gab es eine hübsche kleine Gayparty.
Den krönenden Abschluss des Abends legte futurebae hin. Ihr Sound ist schwer zu beschreiben, irgendwo zwischen Hip Hop, Pop und Electro vielleicht? Lina hat eine unglaubliche Bühnenpräsenz und kann in aller Lässigkeit sehr ernst sein. Unvergessen ihr Ventilator, den sie perfekt zu nutzen wusste. Leider war die Musik matschig, sodass teilweise keine Lyrics zu verstehen waren. Aber wir mussten eh nach Hause.
Am Freitag haben wir beim Abendbrot bemerkt, dass es doch recht kühl geworden ist nach dem heißen Vortag. Kühl waren auch die ersten Worte von Eve Uschenko des Duos GHOSTWOMAN an uns: „Only in Germany the people are checking the sound. It sounds great for me!?“ Naja, schön für ihn, wenn sein Monitor gut eingestellt ist, für uns war es leider etwas matschig. Was wirklich schade ist, denn der psychedelische Rock aus Gitarre und Schlagzeug war sehr mitreissend. Die Drummerin Ille van Dessel hat um ihr Leben gespielt und es war ein Genuss, ihr dabei zuzusehen. Zumal sie im Profil zu sehen war, was eine ungewöhnliche Perspektive bot.
Danach ging es zu Zebra Katz, den ich schon mal auf der Pop-Kultur sehen durfte. Der in Berlin lebende Rapper ist queere Sexyness, die es im Hip Hop auch braucht, aber er möchte nicht nur auf seine Sexualität runtergebrochen werden. Die Songs des ehemaligen Performance-Künstlers sind düster und cool, er aber ein richtig netter. Als einziger hat er sich bei der Pop-Kultur bedankt, bei den Techniker*innen und dem Barpersonal. Absolute Konzertempfehlung.
Der nächste Act Blumengarten ist die derzeitige Popsensation Deutschlands. Rayan und Sammy kommen aus Velbert und begeistern seit 2022 mit ihrem Schmusepop. Das ist in keiner Weise abwertend gemeint: Die Texte sind sehr poetisch und es waren so viele glückliche Paare um uns herum. Ein Konzert wie ein kleines Pflaster auf die gestresste Seele. The Kids Will Be all Right.
Der krönende Abschluss waren die britischen The KVB. Das Shoe-Gaze-Duo hat von Anfang seinen Synthie-Sound mit großflächigen Projektionen perfektioniert. Dieses Mal flogen wir durch animierte Häuser und über einen Gletscher, da bin ich vor Höhenangst mal kurz ins Torkeln gekommen. Aber da sag ich: Unbedingt mal hingehen, um es zu verstehen.
Wie jedes Jahr war es wieder eine Sensation, was man zum Höchstpreis von 81 € geboten bekommt. Da kickt schon mal die FOMO, aber da muss man sich dann treiben lassen. Was natürlich nervt, ist die Getränkepolitik. Keine Wasserflaschen find ich bei 34°C schwierig, und dass man z.B. seine Weinschorle nicht in eine andere Venue mitnehmen kann, wenn man weg muss oder es einem nicht gefällt, verleitet echt zum Vollsuff oder man lässt es. Und über die Kartenzahlung ab 20 € im Kesselhaus fang ich gar nicht erst an.
Mein kleines Highlight war, wie Peaches meiner Begleitung volle Möhre auf den Fuß gelatscht ist. Wir sind jetzt berüüüühmt. Absoluter Downer wie immer die Männer. Juckt sie nicht, wenn sie später kommen, ob eine kleine Person hinter ihnen steht. Und natürlich ist es mir sehr wichtig, deinen musikwissenschaftlichen Take zur performenden Band simultan beim Konzert zu hören. Ist ja nicht so als wäre da draußen ein ganzes Areal, auf dem du schnattern könntest. Aber gut, da kann die Pop-Kultur ja nichts für.
Sie haben - wie immer - fast alles perfekt gemacht. Danke, dass ich wieder dabei sein durfte!
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