„Queer Balkan“ – Zwischen Orientalismus und Empowerment
Unsere Redakteurin Paula Balov hat sich unseren Filmtipp angesehen. Lest im PINK.Magazin ihre kritische Perspektive als queere Person mit kroatisch-mazedonischen Wurzeln.
11.08.2021 – Endlich öffnet sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen mehr für queere Themen. Die Dokumentation „Queer Balkan“ im 3Sat (in der Mediathek verfügbar bis zum bis 06.07.2023) stellt eine unterrepräsentierte Region und Community ins Zentrum. Selbst im deutschsprachigen Diskurs zu LGBTIQ*-Rechten in Osteuropa, bleibt der Balkan oft nur eine Randerwähnung.
Wolf-Christian Ulrich ändert das und beleuchtet in seinem Film die Situation für queere Menschen in Serbien, Bulgarien und Bosnien & Herzegowina. Lokale Aktivist*innen und Künstler*innen, „die als Role-Models den Wandel vorantreiben“, erzählen von ihren Kämpfen und Visionen. Als bisexuelle Person mit ex-jugoslawischen Wurzeln, wünsche ich mir schon sehr lange eine Doku mit einer solchen Prämisse. Gerade der Fokus auf Kunst und die Akteur*innen der lokalen LGBTIQ* Communitys, verspricht einen erfrischenden Blick auf die Region. Obwohl der Film vieles richtig macht, kommt er aber leider nicht ohne Klischees und verstaubte Bilder von Südosteuropa aus. Diese möchte ich – genauso wie die gelungenen Aspekte, beleuchten.
Orientalismus, Balkanismus und warum wir komplexe Narrative brauchen
Schwul*, lesbisch*, bi- oder transsexuell zu sein, ist immer noch gefährlich. Allein 2020 gab es mindestens drei homophob motivierte Morde. Noch nie gab es so viele Übergriffe gegen queere Menschen, während auch Denkmäler und Gedenktafeln für die Homosexuellen-Bewegung immer wieder Opfer von Vandalismus werden.
Es geht hier nicht um den Balkan – ich habe das Intro der Doku auf Deutschland umgemünzt. Die Umkehrung soll zeigen, was ich sehr häufig in der Berichterstattung über den Balkan bemerke: Sie ist durchdrungen von Pauschalaussagen und westlicher Imagination. Es ist sehr einfach Südosteuropa als rückständig zu zeichnen und im gleichen Atemzug die Lage für queere Menschen in Westeuropa besser darzustellen als sie ist. In der deutschen LGBTIQ* Community blicken wir oft auf den globalen Süden mit einer herabwürdigenden, rassistischen Haltung – die lokalen Communitys existieren in dieser Sichtweise nur als Horrorvisionen und Bestätigung dafür, „wie gut wir es hier haben“.
Der Theoretiker Edward Said beschrieb den pejorativen und exotisierenden Blick auf die arabische Welt als „Orientalismus“. Die Historikerin Maria Todorova prägte in Anlehnung daran den Begriff „Balkanismus“, der das westliche Überlegenheitsgefühl gegenüber dem Balkan beschreibt. Primitivität und Konservatismus bestimmen unser Bild vom Balkan, das zum Teil in die Selbstwahrnehmung der Region übergegangen ist.
Anstatt die Diskriminierung von LGBTIQ* und die Kämpfe für Gleichstellung im Kontext politischer Entwicklungen und Umbrüche zu setzen, tappt auch „Queer Balkan“ in die Falle des Balkanismus. Beiläufig nennt der Film die „orthodoxe Kirche und ein ausgeprägtes Machotum“ als Ursache für Queerfeindlichkeit – verzichtet jedoch auf Kontextualisierung. Dass Faktoren wie Nationalismus, Patriarchat und Religion eng mit queerfeindlicher Unterdrückung verwoben sind, will nun niemand bestreiten. Allerdings lässt die Doku diese Strukturen statisch und eindimensional erscheinen.
Welche Geschichte erzählt ein Film, wenn er kurzerhand ein multireligiöses Land wie Bosnien & Herzegowina und einen urbanen, kulturellen Knotenpunkt wie Sarajevo, als rückwärtsgewandten Ort des Stillstands zeichnet, in dem „seit der Herrschaft der Osmanen vor allem der Islam regiert“? Ein essentialistisches Narrativ.
Während die Region hierzulande oft als „zu kompliziert“ gilt, wird ihr doch selten diese Komplexität auch zugestanden. Wir dürfen uns aber nicht von bequemen Narrativen verleiten lassen. Wenn wir den queeren Balkan stärken und nicht nur eine Projektion für unsere (vermeintliche) westliche Fortschrittlichkeit finden wollen, müssen wir auf differenzierte Narrative bestehen.